TITANIC Gold-Artikel
Neue Weihnachtsmärkte
Kennen Sie das? Der Geruch von überteuerten Crêpes zieht durch die Gassen, Glühweinfreude macht sich im (Ober-)Stübchen breit und über all dem schwebt der Klang von "O du Fröhliche" – ein Weihnachtsmarkt, wie er im heiligen Buche steht. Doch dann kommt der Ausländer und die grün-atheistische Jugend und macht das christliche Besinnlichkeitsfest zum "Wintermärchen", "Schneezauber" oder zu irgendetwas anderem ohne Jesus. Wie kann der klassische christliche Weihnachtsmarkt überleben? Zwei Projekte in Bayern versuchen sich an einer Antwort.
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Versöhnen und Zusammenführen: Das ist das Ziel des "Winterweihnachtszaubermärchenmarkts Marktredwitz", der vom Heimatverein Marktredwitz ins Leben gerufen wurde und von Einheimischen der Einfachheit halber nur noch WWZMMRW genannt wird. Hier sollen sich alle zu Hause oder dahoam fühlen, egal ob junge Hipster, die noch nicht weggezogen sind, oder eingefleischte bayerische Senioren, die noch nie einen E-Scooter von innen gesehen haben. Das Geheimrezept dieses progressiven Pilotprojekts: Es hat wirklich ein Angebot für alle, von konservativen Inkontinenten bis zu liberalen Vape-Kids. Dahinten gibt es vom örtlichen Pfarrer gesegneten Glühwein, nebenan am Stand von "Viva con Aquavi" kann man einen frisch aufgebrühten Fairtrade-Matcha-Tee mit Schuss erwerben – und das alles via ApplePay. "Wir wollen einfach, dass hier alle zusammen die Vorweihnachtswinterzauberzeit genießen können, egal, wen sie wählen oder wie viele Weltkriege sie mitgemacht haben", sagt Karolin Ater, Erfinderin des revolutionären Konzepts, Heimatvereinsvorsitzende und dreifache Gewinnerin im örtlichen Glühwein-Generationen-Wetttrinken der Initiative "Generation Glühwein", während sie am barrierefreien Eingang allen Besucherinnen und Besuchern mit einem eigens auf sie zugeschnittenen Trinkspruch zuprostet ("Wohlsein!", "Gott zum Proste", "Heil!"). Inklusion sei das entscheidende Stichwort, so Ater, während sie zackig ihr eigens mit Word 97 designtes Pamphlet "Mit Rechten trinken" aus der Hugo-Boss-Jacke zieht. Ganz ohne Kompromisse geht es aber dann doch nicht im Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge; auf gewisse Dinge, die bei manchen Besuchern zum lieb gewonnenen Teil der Vorweihnachtszeit geworden sind, muss verzichtet werden, um den Lebkuchenhausfrieden zu wahren. So müssen, Zitat Karolin Ater, "der linksextreme Santa Klaus Santifa" und die "eigentlich schöne Onkelz-Klassiker-Vertonung 'Stille Wacht'" zu Hause bleiben. Marktredwitz ist angekommen in der lamettagoldenen Mitte der Gesellschaft.
In Schweinfurt hält man es etwas anders mit den Onkelz. "Inklusion ist ein perverses Konzept", grölt Weihnachtsmarkt-Organisator Mark P. über die scheppernde E-Gitarre von "All I want for Christmas sind meine Kameraden" hinweg, als er auf das Marktredwitzer Winterweihnachtsmarktkonzept angesprochen wird. P., der in seiner Freizeit gerne mit seinen Freunden spazieren geht und (nach eigenen Angaben) selbst gemachte "Geschenke" in Flüchtlingsheimen vorbeibringt, hat den privat betriebenen "Deutschen christlichen Weihnachtsmarkt für deutsche Christen" ins Leben gerufen, nachdem er auf dem normalen Weihnachtsmarkt einmal kein Crêpe mit Nutella mehr bekommen hat; die Nutella war aus und der Crêpes-Verkäufer "sah aus wie so ein Islamer". Jetzt hat P. sich mit der Unterstützung seiner Kreisliga-Mannschaft auf einem Acker direkt am Ortsschild sein eigenes kleines ausländerfreies Paradies geschaffen, was ihm in Schweinfurt niemand übelnehmen will. Die Bratwürste, die wie alle angebotenen Produkte ausschließlich aus Schwein bestehen, sind einfach zu lecker, gibt eine Besucherin zu, die unerkannt bleiben will. Die Schweine sind, erklärt P. stolz, "nicht Bio oder so ne Kacke", sondern wurden noch ganz traditionell mit einem Baseballschläger aus deutscher Eiche zu Tode geprügelt. Auf dem "Deutschen christlichen Weihnachtsmarkt für deutsche Christen" sei der Weihnachtsmann noch dick und weiß und Jesus dünn und weiß; am Schießstand werde noch auf "Indianer", "Wilde" und "Zigeuner" geschossen. In die Kirche geht P. an Weihnachten dann aber auch nicht mehr, "wegen diesem Gewäsch von Frieden und bla". Stattdessen konzentriere er sich zu 100 Prozent auf das liebevoll ausgearbeitete Rahmenprogramm seines eigenen Weihnachtsmarkts und die Organisation des öffentlichen Weihnachts-Wehrmachts-Schrottwichteln. Und mit diesen Worten marschiert er fröhlich zum nächsten Programmpunkt: "Gemeinsames besinnliches Reichsflagge-Schwingen".
Antonia Stille