TITANIC Gold-Artikel

Breakdance mit Frank Thelen

Success can be a bitch: Frank Thelen, bodenständiger Bonner Start-up-King und nebenberufliches Verwaltungsbeamten-Double, kann ein Liedchen davon singen. Als "anonymer Geldsack", als "glatte Fernsehfresse" würden sie ihn online bezeichnen, schreibt er in einer Rundmail an alle Redaktionen Deutschlands, von Sat.1-Frühstücksfernsehen bis "Ibbenbürener Volkszeitung". Die Mail ist eine Anklage - eine Anklage gegen das vorschnelle Urteilen, gegen das Herabschauen auf andere, gegen das Dagegensein in unserer Gesellschaft. Und ein Angebot. Ein Angebot, ihn kennenzulernen, "als Mensch hinter dem Kapital".

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Für uns gehört es zur journalistischen Sorgfaltspflicht, diese once-in-a-lifetime opportunity zu ergreifen. Was weiß man schon über diesen Mann, außer, dass er über ein prallgefülltes Portemonnaie verfügt? Und Geld ist bei Investoren nun mal Teil des Berufs und der Berufung. Nein, Erkenntnisse müssen her, Nähe. Wir wollen Dinge über Thelen erfahren, die er selbst Christian Lindner nicht in seinen kühnsten Träumen und auch nicht in einem Podcast erzählen würde. Wir haben geantwortet. Und Sekunden, nachdem wir auf "Senden" klicken, lädt er uns zu "Slack" ein, da sei die Kommunikation unkomplizierter, direkter. Direkt – das finden wir gut.

Er wartet schon vor dem Tanzstudio. Graue Wrangler-Jeans, weißes Polohemd, schwarzer Cardigan, Sneakers von Puma. Er hebt die Hand, ballt sie und streckt sie uns entgegen. Eine kurze Unsicherheit, wie darauf zu reagieren ist, erfasst uns, hektische Suche im inneren Knigge. "Ghetto-Faust!" ruft Thelen etwas zu laut, sodass es in dem leicht nach Urin und Restmüll riechenden Hinterhof widerhallt. Thelen gibt uns das, was andere fist-bump nennen würden – wir bumpen unbeholfen zurück. "Der Check ist noch aus alten Zeiten übrig. So was bleibt einfach in einem. Voll street, dass ihr da seid." Er lächelt, sichtlich glücklich.

Bevor wir reingehen, müssen wir natürlich die Frage aller Fragen stellen: Warum sind wir ausgerechnet hier? Was bedeutet ihm dieser Ort? Was macht er mit ihm? Thelen wird schnell unerwartet offen: In der Schule sei er ja ein ziemlicher Versager gewesen, sagt er. Dann habe er übers Skaten zum Breakdance und somit hierher, zu sich selbst gefunden. "Auch heute noch bin ich mindestens einmal wöchentlich hier." Ist das eine Träne in seinen sonst so beherrschten Knopfaugen? "Hier habe ich mich freigetanzt." Ein letzter Blick auf die Apple-Watch, dann geht er uns voran, hinein in das unscheinbare Gebäude, das für ihn Hoffnung bedeutet. Bevor er es betritt, formt er seine Arme zum Dab.

Thelen beim morgendlichen Weg ins Büro

Ganz Pre-Workout, geht es via 60er-Jahre-Treppenhaus hoch in den dritten Stock. Wir schnaufen hinterher, Frank Thelen ist schon umgezogen, als wir oben ankommen. Er hat lediglich seinen Cardigan abgestreift und die Jeans gegen eine Limited-Jogginghose getauscht, das Polohemd und die Sneakers bleiben. "Stay real, stay true, stay focused (TM)" steht an der Wand des hellen, bis auf zwei Lautsprecher völlig leeren Raums. "Mein erstes Lebensmotto", lacht Thelen, der mittlerweile auf dem Boden sitzt und sich dehnt. Er habe viel Geld gezahlt dafür, dass diesen Schriftzug niemand mehr abdrucken kann, ohne eine größere Summe an ihn und sein Unternehmen "Freigeist Capital" abzutreten.

"Unternehmerisches Geschick liegt in den kleinen Dingen", sagt er verschwörerisch und klemmt sich sein rechtes Bein hinter den Nacken. Früher habe er noch an Dance-Battles teilgenommen, das war Alltag hier im dritten Stock in Sülz. "Die wilde Jugend", schmunzelt er versonnen. Das Studio hat er inzwischen gekauft, bis auf ihn danced hier keiner mehr. Versiert tippt er auf seine Smart-Watch; aus den Boxen pumpt sofort Musik. Alles dreht sich an Frank Thelen: Uprocking, Windmills, Hollow Backs, Headspins purzeln aus ihm heraus, wie er uns seine Moves später übersetzt. Wir können nur in Deckung gehen hinter den Lautsprechern, aus denen "Can't get you out of my head" mit fettem Hiphop-Beat darunter wummert.

Kurze Trainingspause, ab vor die Tür. Durchatmen. Thelen zeigt uns seinen E-Tretroller, den er vor dem Eingang des Waschbetonwürfels mit einem Riegelschloss gesichert hat. "Die Dinger sind in Deutschland zwar noch verboten, aber: You never try, you never win", betont er und sichert sich schnell die Rechte an dem Slogan; er hat sich einen Chip in die Hirnrinde implantieren lassen, mit dem er solch einfache Abwicklungen ganz nebenbei vollziehen kann – ein Start-up aus Sigmaringen hat das Teil entwickelt. Aber Frank Thelen möchte nicht nur der Investitionsheiopei sein: Auch Politik ist für ihn wichtig. "Mal ein Statement setzen, edgy sein", sagt er.

Aber zurück zu den Tretrollern: "E-Treter werden irgendwann die öffentlichen Verkehrsmittel ersetzen, ich sag's euch." Gefühl für das zu haben, was die Menschen antreibt – in diesem Fall elektrische Motoren – sei das A und O bei seinem Beruf, sagt der 43jährige, während er am Strohhalm seines isotonischen Bubble-Teas zieht. Und jetzt kommen wir doch wieder an bei seinem Thema, bei seiner Erfolgsstory: Er hat wirklich alle Jobs gemacht, die man sich vorstellen kann, war das Werbegesicht für Optiker Bode und hat in orangefarbener Latzhose beim "Wie, wo, was weiß Obi"-Chor mitgesungen. Jetzt ist er angekommen. "Klassische 'from rags to riches'-Story, im Grunde wie Jesus", vergleicht er kühn. Wohl um diese Botschaft zu betonen, bildet er aus Zeige- und Mittelfinger ein Victory-Zeichen. Alles dreht sich. 

Antonia Stille

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt