Inhalt der Printausgabe

Die Party geht weiter!

Emotion total: Deutschland im G8-Fieber

 

Ein Jahr nach dem phänomenalen Erfolg der Fußball-WM 2006 veranstaltet Deutschland mit dem G8-Gipfel ein weiteres internationales Premium-Event der Spitzenklasse. Doch was als friedliches Fest für Hunderttausende geplant war, droht im Chaos zu enden: Hooligans aus aller Herren Länder haben ihr Erscheinen angekündigt – und natürlich jede Menge sinnlose Gewalt.

 

Wellen peitschen den Strand, Möwen schreien um ihr Leben, Strandkörbe kippen unversehens um – schon im Normalbetrieb gleicht das Ostseebad Heiligendamm einem brodelnden Hexenkessel. In wenigen Tagen jedoch wird hier der Ausnahmezustand herrschen: Auf Einladung Angela Merkels treffen sich die Führer der acht mächtigsten Industrienationen, um der Weltwirtschaft im friedlichen Wettstreit der Ideen neue Impulse zu geben, z.B. in Richtung Freihandel. Was sie mitbringen, sind nicht nur Mannschaften in

Legionenstärke, sondern auch mehrere tausend Journalisten sowie unzählige Unterstützer in phantasievoller Verkleidung (Schlips, Kragen, Chanel-Kostüm). Für sie wie auch für die erwarteten ostdeutschen Fanmassen soll der Gipfel das Fest ihres Lebens werden.

 

Während Hunderte freiwilliger Helfer die schmalen Straßen beflaggen und sich probeweise hinter den Bierrondellen übergeben, ist die Euphorie mit Händen zu greifen: Schließlich bietet der G8-Gipfel Deutschland, der liebenswerten Großmacht im Herzen Europas, erneut die Gelegenheit, sich als perfekter Gastgeber zu präsentieren, massenhaft Sympathiepunkte zu sammeln und die Schatten der Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen, z.B. Helmut Kohl.

 

Ein anspruchsvolles Programm mit den Schwerpunktthemen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Afrika hat die Kanzlerin dazu auf die Beine gestellt. So wird sie den nachhaltigen Umgang mit den Währungsreserven anmahnen, den Einsatz uniformierter Klimaschutzstaffeln anregen und jedem armen Afrikaner ein gebührenfreies Konto bei der Weltbank in Aussicht stellen, jedenfalls in ihrer heftig umjubelten Eröffnungsrede. Den Rest des Gipfels wird es dann, wahrscheinlich unter noch viel größerem Beifall, wieder hauptsächlich um Globalisierung, freien Handel und den Abbau von Investitionshemmnissen gehen: »Die Welt zu Gast bei Geschäftsfreunden« – das soll schließlich nicht nur ein schöner Slogan bleiben.

 

Es könnte also ein überschäumendes Fan-Fest werden – drei Tage im Zeichen von freudigem Fahnenschwenken, frechen Fan-Gesängen und launigen La-Ola-Wellen. Doch Hooligans und kriminelle Schlachtenbummler aus dem In- und Ausland haben angekündigt, den Gipfel nach Kräften aufzumischen. Ihre durchsichtigen Motive: Lust an Randale, Spaß am Krawall, unzureichende Kenntnis ökonomischer Zusammenhänge, insbesondere der Vorzüge des freien Marktes. Zwar haben die Organisatoren des Treffens vorgebaut: Ein Zaun von zwölf Kilometern Länge schirmt die Spielstätten des Hotels Kempinski von den Radikalinskis ab. Strikte Einlaßkontrollen sorgen dafür, daß nur Freunde des Fairplay mit gültiger Eintrittskarte Zutritt haben. Und über 16 000 Sicherheitskräfte stehen bereit, alles freundlich mit dem Knüppel zu verwarnen, was sich freien Eintritt über den Zaun erschleichen und das Gelingen der Veranstaltung stören könnte.

 

Diese Polizeistrategie muß jedoch nicht aufgehen. Denn die Rowdys setzen nicht nur auf nackte Gewalt, sondern auch auf phantasievolle Widerstandsformen, gegen die die Sicherheitsorgane beinahe machtlos sind. Vor allem die gefürchteten Sitzblockaden könnten einen vorzeitigen Abbruch des Gipfels nötig machen: Wenn die Staats- und Regierungschefs gar nicht erst ins Hotel kommen, so das perfide Kalkül der Krawallmacher, wäre die Globalisierung gestoppt und Deutschland vor aller Welt blamiert.

 

Um dies zu verhindern, war man den global agierenden Randalierern bereits im Vorfeld weit entgegengekommen. Mit dem offiziellen Gipfel-Motto »Wachstum und Verantwortung« hatte die deutsche Präsidentschaft die Reisechaoten eindringlich an ihre eigene Verantwortung für das Wachstum der Weltwirtschaft erinnern wollen, nachdem der ursprüngliche Tagungstitel »Blutherrschaft und Profit« auch bei wohlmeinenden Fans für eine gewisse Unruhe gesorgt hatte. Beim harten Kern der Hooligans stieß die Mahnung jedoch auf taube Ohren. Sie lieben Ausschreitungen um jeden Preis, verherrlichen Straßengewalt, fordern weiterhin die Abschaffung des Imperialismus. Das wiederum ist mit den Führern der G8-Staaten nicht ohne weiteres zu machen: »Natürlich – wir alle wünschen uns eine Welt ohne Ausbeutung, Folter und Diktatur«, gab Angela Merkel jüngst zu bedenken, »aber ohne sie wären unsere Nationen nicht das, was sie sind, nämlich Weltspitze.«

 

Tage vor dem Großereignis liegen die Nerven also bei vielen blank und Heiligendamm in gespannter Erwartung: Wird der G8-Gipfel das friedliche Fest der Völker, auf das die ganze Welt mit Wohlgefallen schaut? Wird zu Tausenden gesungen, auf den Straßen getanzt und endlich mal wieder eine Lanze für Wohlstand und Freihandel gebrochen? Oder wird der kleine Badeort ein Schlachtfeld des Terrors und der Gewaltexzesse, in dem die Hoffnung auf eine bessere Welt in Tränengasschwaden untergeht? »Mir ist’s recht, egal wie’s kommt«, zeigt sich jedenfalls die Kanzlerin zuversichtlich, »solange nur Deutschland Exportweltmeister der Herzen bleibt.«

 

Mark-Stefan Tietze

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Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt