Vom Fachmann für Kenner | September 2006
Unverschämt
Mit dem neuen Handyvertrag kam auch ein neues Handy. Als ich es auspackte, flatterte mir ein Zettel entgegen, auf dem stand: »Ihr neues Handy funktioniert nicht? Dann rufen Sie uns an!« Ich mag es nicht, wenn Mobilfunkanbieter zynisch werden.
Melanie Schweinfurth
Das Fenster zum Hof
Schon zu Beginn des Irakkrieges hatten die Leute im Haus gegenüber ganz oben eine dieser Regenbogenfahnen mit der weißen Aufschrift PACE über ihre Balkonbrüstung gehängt, und dort hängt sie, schon etwas verblaßt, bis heute. Kürzlich, es hatte gerade gewittert und die Sonne schien schon wieder durch die Wolken, stand hinter dieser Fahne ein Mann und filmte mit einer Videokamera den Regenbogen. Schade, daß ich das nicht fotografiert habe.
Gregor Mothes
Ästhetik
Das Schöne wie Raumsparende an Dichtung ist ihre, wenn gelingend, dem Bild luftmachende und zugleich verdichtende, verknappende Sprache. So läßt sich die ebenso kurze wie formal bestechende Bitte eines arbeitslosen und charakterlich leicht zwielichten Duisburger Vaters an seinen immerhin schon 45jährigen und grad von schwerster Arbeit (Zeche) heimkommenden Sohn (97 Prozent gehbehindert):
»Würdest du, auf daß kein Lohn dir winke
Augenblicks mir bitte einen Haufen
Nämlich zwanzig Flaschen Pilsbier kaufen
Welche ich, derweil dich dürstet, trinke?«
in Prosa nur ungleich länger, komplizierter und häßlicher: prosaischer sagen: »Hol mal Kasten anne Bude, Spasti. Ab kriegse aber nix, hähäh!!« – Schlimm.
Thomas Gsella
Desiderat der Konfliktforschung
Neulich habe ich versucht, eine Geschichte zu entwickeln, die reich ist an Spannung, Struktur, Plot und Pointe. Nachdem ich erfolglos und völlig krampfhaft mehrere Minuten nachgedacht habe, gebe ich bei Google ein: »Konflikte entwickeln« und merke doch eines ganz schnell: Wie genau man jetzt aktiv Konflikte entwickelt, das schreibt eigentlich keiner irgendwo auf.
Christian Martin
Waschtag
Als während der Fußballweltmeisterschaft mein frisch gewaschenes weißes Bettlaken zum Trocknen mal länger aus dem Fenster hing, meldete sich lautstark eine Person von der Straße und fragte, aus welchem Land ich denn käme. Da mir bei der Hitze spontan nix Besseres einfiel, rief ich einfach »Grönland« runter. .
Uwe Becker
Bitte nachmachen!
Dieser Sommer hat gezeigt, daß unsere Wirte unzureichend auf die Klimakatastrophe vorbereitet sind. Frisch gezapftes Bier, das im günstigsten Fall eine Temperatur von 7°C aufweist, steht eine Minute am Tresen (10°C), wird durchs Lokal oder in den Biergarten getragen (12°C), hat beim Anstoßen 15°C, und noch eine Minute später kann man in der Suppe bereits baden. Wirte, schaut auf Griechenland! In besseren Tavernen servieren sie das Bier in dickwandigen Gläsern, die zuvor im Tiefkühlfach aufbewahrt wurden. Selbst am Strandkiosk kann man solche Gläser zum Dosenbier hinzubekommen – mit dem für alle Seiten angenehmen Nebeneffekt, daß das Bier, weil so kalt und lecker, so schnell weggetrunken ist, daß es die tiefgreifende Kühlung gar nicht nötig hätte.
Mark-Stefan Tietze
Moralische Unterstützung
Regelmäßiges Kopfzerbrechen bereiten mir die Zeitungsartikel, von denen ich nicht weiß, ob ich sie jetzt lesen soll oder nicht. Ist der Artikel interessant genug? Oder ist mir die Zeit zu schade? Neulich fiel mir wieder so ein Fall in die Hände. Nur mußte ich den dann doch lesen. Ich wäre mir moralisch klein und häßlich vorgekommen, hätte ich es nicht getan. Oder darf man wegen schätzungsweise 15 Minuten vertrödelter Lebenszeit die Geschichte eines Mannes verschmähen, der 38 Jahre unschuldig hinter Gittern geschmort hat, weil man ihn dort vergessen hatte?
Friedrich Krautzberger
Moderne Kommunikation
Ich habe so wenige Freunde, ich bekomme nicht mal Spam.
Lino Wirag
Spracherwerb und Integration
Der Mannheimer Soziologieprofessor Hartmut Esser behauptet in einem Artikel kühn, es gebe keine Untersuchungen, die die für den Zweitsprachenerwerb – hier des Deutschen – fördernde Wirkung einer guten Beherrschung der Fremdsprache – des Türkischen, Russischen oder Spanischen – belegten, weshalb es im Integrationsprozeß lediglich um die Entwicklung der Zweitsprache – – ja scheiß in die Luft! Text verwechselt, Tschuldigung! (Die von der SZ werden sich erst wundern.)
Roman Moosbauer
Ausgleichende Ungerechtigkeit
Bedenkt man, welche Gewalt selbsternannte Künstler in der Fußgängerzone manchen Klassikern aus Rock und Pop antun, wundere ich mich kaum über mein fehlendes schlechtes Gewissen, wenn ich keinen Obolus in den bereitgestellten Plastikbecher werfe, sondern den Musikanten zurufe: »Wir sind quitt!«
Ralf Augsburg
Vermieter sind Schweine
Um unsere Anwartschaft auf ein Mietshaus zu verbessern, hatten wir die Vermieter zu uns eingeladen, damit sie sich davon überzeugen konnten, daß wir keine asoziale Mietnomaden sind, sondern eine ganz normale Familie, wenn auch mit drei Kindern. Letztere wurden über die Benimmregeln der nächsten zwei Stunden genauestens instruiert (»Nach der Begrüßung hat einer von euch die spontane Idee, draußen im Garten zu spielen«). Die Vermieter kamen, sahen sich im Haus um, tranken Kaffee, aßen den selbstgebackenen Kuchen, ließen durchblicken, daß sie nicht abgeneigt seien, uns ihr Mietobjekt zu überlassen, als die Kinder blaugefroren an der Terrassentür wimmerten. Meine Frau bugsierte sie in den Flur, raunte einige Ermahnungen, dann stürmten die süßen Frischlinge die Küche. Unser mittlerer Sohn schnappte sich ein Märchenbuch, knallte es der Vermieterfrau auf den Schoß und rief fröhlich: »Kannst du mir jetzt endlich mal was vorlesen, du blöde Sau!« Das Formular mit der Selbstauskunft haben wir dann gar nicht mehr bekommen.
Jochen Gerken
Selbstmord,
empört sich die Großmutter, habe es früher nur selten gegeben, dafür seien die Menschen einfach zu beschäftigt gewesen. Ein Mitschüler habe sich allerdings, wenn sie sich jetzt genau besinne, doch schon während der Schulzeit aufgehängt, weil seine Eltern zu viel von ihm verlangt hätten. Ihre anderen Schulfreunde, die freiwillig aus dem Leben geschieden seien, hätten dies aber wesentlich später getan und auch aus guten Gründen, wie ihr Cousin Franz-Josef, der im Leben einfach keinen Fuß habe fassen können, oder der damals nur unter dem Namen »Pommes« bekannte Mitschüler, der nach mehreren Vergewaltigungen und sonstigen Straftaten ohnehin keine Chance zu einer ordentlichen Existenz gehabt habe.
Ludger Fischer
Fußball-WM
Tübingen, nach dem Spiel Deutschland-Polen, kleine Straße vor meiner Wohnung: vier Jungs im Cabrio, Deutschlandfahne, »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin«. Ein älterer Mann kommt aus einem Ladeneingang: »Do hendr eich abr verfahra!«
Jürgen Eberhardt
Nächste industrielle Revolution
Schon lange frage ich mich, wie leistungsfähig wohl Computer werden, wenn zur 0 und 1 auch noch die Zahlen 2 bis 9 dazukommen. Was dann alles möglich ist, übersteigt wohl unsere Vorstellungskraft.
Jürgen Merz
Nicht übel
In weiten Teilen Deutschlands haben neue Mitschüler aus dem Schwabenland eher schlechte Karten. Das war auch in unserer Klasse so. Die hinterfotzige Frage »Was gibt’s heut bei euch zum Mittagessen, Holger, vielleicht Spätzle?!« parierte dieser aber zugegebenermaßen recht leidlich: »I wois ned, abba I bin obdimisdisch!«
Marcel Vega
Expertengespräch
Neulich im Zug erzählte ich einem Freund: »Früher gab es im Rheinland Malaria.« Ein Herr konterte daraufhin aus der Ecke des Abteils: »In Indien gibt es auch Arier!« In der folgenden Diskussion entpuppte er sich allerdings als Insektenkundler, und wir einigten uns darauf, daß es im Rheinland mal Anophelesmücken gab.
Nils Seesing
Katholizismus
Was ich bei den Katholiken wirklich fabelhaft finde, ist, daß sie in den Kirchen die Pissoirs gleich beim Eingang haben.
David Sowka
Guter Mann
Die Regentonne, die ich im Baumarkt zu erwerben beabsichtige, kostet 12,99 €. Weil sie aber eine dicke Schramme hat, gehe ich den anwesenden Fachverkäufer-Azubi um einen Preisnachlaß an. Er läuft zu seinem unweit stehenden Ausbilder. Der sagt: »Zehn Prozent.« Der Azubi kehrt zurück, holt den Taschenrechner hervor und beginnt zu tippen. Dann löscht er alles und beginnt noch mal von vorn. Sein Gesicht rötet sich. Und noch einmal. Und noch mal. Als ich ihm nach dem vierten oder fünften Versuch über die Schulter lugen will, legt er rasch die Hand aufs Display und sagt: »Okay – sieben Euro!« Was soll man da sagen außer: Guter Mann!
Robert Niemann
Wie wahr
Auf die Bühne kommen und sagen: »Hello, I am Johnny Cash«, das können auch nicht viele.
Dirk Warnke
Wer ist der Dumme?
Mußte mich neulich beim spätabendlichen Zappen fragen, ob ich, wenn ich die Lösung eines dieser dämlichen Buchstabenrätsel auf einem dieser dämlichen Spielesender selbst bei schärfstem Nachdenken nicht herausfinde – ob ich dann also noch dümmer bin als die Leute, die die Lösung kennen, ständig beim Sender anrufen und sich darüber aufregen, nie etwas zu gewinnen. Wer kann mir diese Frage beantworten? Bin ich dümmer oder bin ich’s nicht? Ruft an: 0137-4369241, schnell in die Leitung kommen, der Buzzer schlägt gleich zu.
Daniel Jakob Gehlen
Finanzberatung
Früher war es ein leichtes, Parkuhren den Garaus zu machen: Der Zahlungsunwillige steckte eine dieser Blechlaschen, die dem Verschluß von Bierdosen dienten, in den Schlitz und versenkte sie tief im Innern der Uhr. So stand ihm jederzeit eine plausible Erklärung zur Verfügung, warum er fürs Parken kein Entgelt entrichtet hatte. Heute ist die Sache komplizierter. Im Uhrschlitz kann man außer den passenden Münzen nichts mehr versenken, und die Bierdosenverschlüsse sind zum Verbleib am geleerten Behältnis gedacht. Ein Bekannter wußte neulich Abhilfe: Einfach einen Grillanzünder in das Fach legen, in dem sich das Rückgeld sammelt, und die Uhr grillt sich langsam, aber sicher ihrem Finale entgegen. Selbst wenn man die teuren dänischen Anzünder nehme, zwanzig Stück für 1,49 Euro, sagte der Bekannte, stehe man »finanziell letztlich viel besser da« als bei korrekter Entrichtung des geforderten Betrags.
Christof Goddemeier
Bully und ich
Vor ein paar Jahren hatte ich ja mal geschäftlich mit Bully Herbig zu tun. Ich rief die HerbX-Filmproduktion an und hatte gleich den Chef am Apparat. Zu meiner Enttäuschung hatte er keine Lust, den Telekommunikationsanbieter zu wechseln, und legte nach einigen langgezogenen Nööös auch schon wieder auf.
Louis Vazquez
Lebensweisheit
Ein Tag ohne Lachen ist ein Tag, an dem man nicht fröhlich war.
Uwe Geishendorf
Klassische Rollen
Heute morgen forderte mich meine Packung »Rügenwälder Teewurst« auf, doch auch mal die neue »Rügenwälder Teewurst Aktiv« auszuprobieren; und ohne jetzt als erzkonservativer Macho und Biedermann gelten zu wollen, muß ich gestehen, daß mir die klassische, passive Schmiere, die sich willenlos von jedem aufs Brot klatschen läßt, doch irgendwie lieber ist.
Gaston Latz