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Die andern fühlen nur zu wenig
Musiker, Autor, Instagrammer: Max Richard Leßmann ist ein Multitalent und veröffentlicht auf Instagram jeden Tag ein Gedicht. Der KiWi-Verlag hat die bunten Bildchen auf Buchformat großgezogen und unter dem Titel "Liebe in Zeiten der Follower" veröffentlicht. TITANIC hat sich für Sie in die Nummer reingefühlt.
Dein Tinder-Date lässt seit zehn Tagen mit einer Nachricht auf sich warten. Auf dem Weg zur Arbeit in der Unternehmensberatung rauschen deine Gedanken, rauschen genau so laut wie die U-Bahn im Untergrund, durch den Untergrund des Frankfurter Bankenviertels. Du öffnest deinen Instagram-Feed und liest:
Du bist
Nicht zu viel
Die andern
Fühlen nur zu wenig
Du fühlst dich direkt besser. Der Autor dieser Zeilen ist der Sänger der Band "Vierkanttretlager" und heißt Max Richard Leßmann. Jeden Tag veröffentlicht er auf seinem Instagram-Profil ein Gedicht. Du scrollst weiter, schwarzer Text auf weißem Hintergrund gerahmt von pastellfarbenen Balken zieht vor deinen Augen vorbei. Du bleibst an einem Poem hängen:
Ich glaube
Dir bricht gerade
Gar nicht das Herz
Und was du da fühlst
Ist nur Wachstumsschmerz
Max Richard Leßmann schreibt Gedichte für die stumpfsinnigsten Geister unserer Gesellschaft, denen der Autor nicht mehr als Reim- und Bildkonstruktionen auf dem Niveau eines Fünftklässlers zuzumuten scheint. Vielleicht ist Max Richard Leßmann aber auch selbst an diesem Punkt seiner Entwicklung stehengeblieben und weder Eltern, Freunde, Ärzte, Publikum, Verlag oder Lektor haben es bemerkt. Folgende Verse könnten ein Hinweis darauf sein:
Wenn dich jemand fragt
Was du später mal machst
Sag immer nur:
Liebe
Wer sich da im Stile einer von Kinderhand geschriebenen Muttertagskarte äußert, ist aber der Anfang 30jährige Max Richard Leßmann. Der Autor schreibt Texte, für die die Leser:innen nun wirklich gar keine Vorstellungskraft mehr benötigen. Neben den Textfragmenten eines Max Richard Leßmann erscheint sogar die Lyrik des Georg-Büchner-Preis-Trägers Jan Wagner wie formvollendete Poesie, wenn der in seinen preisgekrönten "Regentonnenvariationen" Verse über Unkraut herunterstottert. Während zeitgenössische Autor:innen, die der dichtenden Zunft zugeschrieben werden, wenigstens noch den Versuch wagen, eine eigene poetischen Sprache zu entwickeln, und daran allzu oft scheitern, entledigt sich Max Richard Leßmann dieser Herausforderung in einer dem Verfasser unbewussten Absage an jedwede Form in Sprache und Text:
Solang wir
Uns vergleichen
Werden wir
Uns niemals reichen
Max Richard Leßmanns Ergüsse missbilligen damit jedoch nicht traditionelle Dichtweisen und versuchen auch nicht, den Raum für eine neue Empfindsamkeit zu schaffen. Nein, der präpotente Autor ist einfach nicht in der Lage, die "Automatisch Großschreiben"-Funktion seines Smartphones, auf dem er die Texte tippt, zu deaktivieren. Außerdem hat er schlicht keine Vorstellung davon, was sich hinter dem Begriff Poetik verstecken könnte und dichtet deshalb durchschnittlich 300 Zeichen Text, für 30 Sekunden Aufmerksamkeit in 3 Farbtönen. Mehr scheinen sich Max Richard Leßmann und sein Publikum gegenseitig nicht zuzutrauen.
Ich will alles
Alles spüren
Liebe, Sex und Angst
Ich hab mich niemals ausgelebt
Ich leb mich grad erst an
Max Richard Leßmanns schreibt Gedichte für ein Publikum, das Poetry Slams nicht versteht. Ihre Themen sind Liebe und Lifestyle. Ihre Darbietungsform ist willkürlich. Ihr Habitus ist bemüht. Und dort, wo Max Richard Leßmann sich für besonders tiefgründig hält, drängt sich der Verdacht auf, dass der Liedermacher ein aufreizender Hochstapler ist, der es für sich zum dichterischen Prinzip erhoben hat, auch wirklich die offenbarsten Mehrdeutigkeiten der deutschen Sprache in vermeintliche Gedankentiefe führen zu wollen:
Würden mehr Leute
Eine Therapie machen
Müssten weniger Leute
Eine Therapie machen
Oder auch:
Küss mich
Nur ganz kurz
Für immer
Max Richard Leßmann (110.000 Follower) ist das deutsche und deutlich unerfolgreichere Pendant zur Autorin und Instagram-Ikone Rupi Kaur (4,5 Mio. Follower), von der er die mediale Darstellungsform seiner Trash-Literatur abgekupfert hat. Sein neues Buch "Liebe in Zeiten der Follower", in dem der KiWi-Verlag die Instagram-Ergüsse Leßmanns auf DIN A5-Format hochgezogen hat, wird von Künstler:innen wie Casper und der Hamburger Kneipengröße Ina Müller beworben. Die sagt über Max Richard Leßmann: "Ich mag keine Gedichte. Nur die von Max Richard Leßmann."
Rette
Dich selbst
Und du rettest
Die Welt
Oder auch:
Verrate
Niemals dich selbst
Nur um anderen
Treu zu bleiben
Max Richard Leßmann schreibt Texte, die die Fantastischen Vier gerne schon vor 15 Jahren geschrieben hätten. Texte für Männer, die sich nach außen eifrig bemüht zeigen, sich hin und wieder auch mal kritisch mit ihrer eigenen Männlichkeit auseinanderzusetzen. Nur um abends am Späti bei Toto, Peter und Matze mit ruhigem Gewissen die neue geniale Idee für das Start-up pitchen zu dürfen.
Max Richard Leßmann ist die fleischgewordene Doppelmoral des gut betuchten, linksliberalen Bürgertums, das sich vordergründig um diese Gesellschaft besorgt gibt, für die Welt aber nichts anderes mehr übrig hat als biedermeierliche Verse und selbstbezogenen Eskapismus:
Weißt du
Ich kenn das
Es tut immer noch weh
Aber alles wird gut
Und der Rest wird okay
Nein. Hier wird gar nichts mehr okay. Auch nicht der beschissene Rest von Max Richard Leßmanns sinnentleerter Pseudo-Lyrik.
Moritz Post