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High Life auf dem Holodeck

Während das echte Leben in einer krisengeplagten Realität zunehmend belastender wird, lockt im Metaverse eine Welt, in der man sein defizitäres Selbst beliebig upgraden und als blendend aussehender Avatar spielen, arbeiten und Unmengen von Geld ausgeben kann.  Viele Prominente sind der Versuchung bereits erlegen und verbringen in den Paralleluniversen von Second Life oder Horizon Worlds  "Ferien vom Ich". TITANIC kennt ihre Identität und ist ihnen an ihre geheimen Rückzugsorte gefolgt.  

 

Olaf Scholz
Eben noch in unserem muffigen und schlecht durchlüfteten Redaktionskabuff stehend, befinden wir uns nach dem Aufsetzen unserer Occulus-Quest-3D-Headsets plötzlich mitten im restlos ausverkauften Berliner Olympiastadion, wo die um ihr Leben rockenden Stones gerade gnadenlos von der Bühne gebuht werden. Richards und Wood haben angesichts der permanenten "Olaf, Olaf!" Sprechchöre bereits kapituliert und sich mit hängenden Köpfen backstage verzogen. Als der sturköpfige Jagger dazu ansetzt, das Ruder mit einer leidenschaftlichen Acapella-Version von "Don´t look back" herumzureißen, wird er von einem greifvogelartig ins Bild stürzenden Fallschirmspringer kreischend in den Zuschauergraben gestoßen. Jubel brandet auf, als ein sanft gelandeter Kanzler den Platz des Frontmanns einnimmt, mit einer flüssigen Bewegung Schirm und Haltegurt von den Schultern rollt und nach dem Abnehmen seines Goldhelms eine beeindruckende Heavy-Metal-Mähne zur Schau stellt. "Meine Damen und Herren!", kämpft der rote Ozzy Osbourne gegen die anschwellende Rückkopplung, während im Sekundentakt spitze Ohnmachtsschreie durch das Rund gellen. "Die Preise für Benzin und Diesel, für Lebensmittel und fürs Heizen steigen rasant. Millionen Bürgerinnen und Bürger fragen sich jeden Tag: Komme ich aus mit meinem Geld? Reicht es noch am Monatsende? Das sind sehr, sehr, SEHR gravierende Fragen. Fragen, auf die es in der Tat eine Antwort braucht." Die tosende Menge johlt vor Begeisterung, feiert das Bühnenprogramm aber urplötzlich mit frenetischen "Robert, Robert!"-Rufen. Scholz wirbelt herum. Der Wirtschaftsminister und mit Abstand beliebteste Politiker Deutschlands hat sich mal wieder winkend und Luftküsse werfend hinter ihm materialisiert, um seinem Chef als Erklärer vom Dienst fies grinsend die Show zu stehlen (das hat man davon, wenn für seine Virtual-Reality-Ausflüge den kostenlosen Bundestags-Account benutzt). Nachdem Scholz seinem Vizekanzler und dem Publikum beide Mittelfinger gezeigt hat, verschwindet er mit einem markigen Fluch auf den Lippen ("Ihr seid alle doof!") abrupt ins Analoge.  

Boris Becker  
Es dauert nur wenige Minuten, bis wir auf der Suche nach dem einstigen Wahl- und derzeitigen Pflichtbriten fündig geworden sind, denn sein virales Bewegungsmuster erscheint uns doch arg vorhersehbar. Becker, der mit seinem namensgleichen Avatar im Zuge einiger Online-Tennisturniersiege kurzzeitig auch in der Traumwelt zu Geld und Ruhm gelangt war, hat einen Großteil seiner Tokens in fadenscheinige Investmentprojekte sogenannter "Partnered Creators" gesteckt – und sich dabei offenbar übel verzockt. Da er sein übriges Vermögen im Rekordtempo gedankenlos auf den Kopf gehauen und zeitgleich ein gutes Dutzend Barbara-Becker-Klone geehelicht hat, sitzt der wegen virtueller Insolvenzverschleppung und Online-Polygamie zu 2 ½ Jahren Meta-Haft verurteilte Cyber-Becker seine streng reglementierte Medienzeit nun in einer digitalen Kopie des berüchtigten Wandsworth-Männergefängnisses im Metaverse ab. Für den gebürtigen Leimener, wie er uns während der kurzen Besuchszeit erzählt, eine willkommene Pause vom anstrengenden Knastalltag in der Realität, die er vor allen Dingen dazu nutze, um unbehelligt zu duschen und von seinem virtuellen Zellengenossen im Austausch gegen Tennisstunden zu lernen, wie man Messer aus Tennisschlägern schnitzt und zudringliche Häftlinge mit Seife und Handtuch vermöbelt.  

Christian Lindner
Wir haben uns ins "hideaway" des liberalen Silberrückens gebeamt und finden uns auf den  superbequemen Büffelleder-Rücksitzen seines E-Porsches wieder. Der 43jährige tuckert wegen des mehrfach nach unten korrigierten Tempolimits mit gemächlichen 80 Stundenkilometern durch eine biologisch intakte Windparkidylle, aus der rein gar nichts raucht, flämmt oder kokelt. Lindner wirkt völlig entspannt, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass sein CO2-freies Gefährt trotz des innerdeutschen Flugverbots ganz allein auf der Autobahn unterwegs ist. "Wissen Sie, die Mobilität der Zukunft findet überwiegend auf der Schiene statt", verrät uns der FDP-Vorsitzende vom Platz des Beifahrers aus, während sein 911er geräuschlos und autonom den nächsten Klimagipfel ansteuert. Dessen Veranstalter hegen die berechtigte Hoffnung vom "grünsten gelben Finanzminister aller Zeiten" erneut einen deftigen Finanzeinlauf für die Erdrettungsmission zu bekommen. Lindner hat den extrabreiten Scheck, auf den er direkt neben der zwölfstelligen Zahl mit Edding ein männliches Genital gezeichnet hat, für uns gut sichtbar an seine Stirn gepappt.  Er komme oft hierher, sagt Lindner. Wann immer es sein Zeitplan erlaube, nehme er seine Virtual-Reality-Brille aus der Schublade und spule im Büro mit hochgelegten Beinen das widerwärtig dystopische Horrorprogramm aus der ökofaschistischen Postapokalypse ab.  "Auch, wenn ich mich danach dreimal in den Papierkorb übergeben muss, im Metaverse sammle ich die Kraft, die ich brauche, um im politischen Tagesgeschäft ˈdas, was nicht sein darfˈ mit Realitätssinn und klarem ordnungspolitischen Kompass in aller Entschiedenheit zu bekämpfen", fabuliert Lindner wie immer rhetorisch einwandfrei und blickt gelangweilt auf das Ziffernblatt seiner güldenen Audemars Piguet Royal, die er nur trägt, weil seine gute Uhr gerade repariert wird. "Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss auf dem Berliner Ring mal eben das Gaspedal durchdrücken."              

Kevin Kühnert
Der neue SPD-Generalsekretär hat aus PR-Gründen eigentlich alles getan, um die Spur zu seinem Holo-Lieblingsplatz bestmöglich zu verwischen. Gefunden haben wir ihn trotzdem. Der eigentlich nikotinentwöhnte Kühnert hat es sich auf einem menschenleeren Flughafen-Terminal in einer vernebelten Rauchkabine gemütlich gemacht und saugt hier genüsslich virtuellen Teer in die Lungen. Für uns DIE Gelegenheit, im für Schreiberlinge noch nicht geschlechtsreifen Alter in die "Hall of Fame" von Deutschlands Top-Investigativ-Journalisten vorzustoßen und einen bereits verloren geglaubten Interview-Traum mit dem künftigen Polit-Schwergewicht zu leben:  "Auf eine Zigarette mit Kevin Kühnert". Pulitzer, wir kommen!                        

Patric Hemgesberg  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg