Artikel
Das Land der Himmelsscheibe – Sachsen-Anhalt im Interview
Viele reden über Sachsen, doch fast alle vergessen seinen kleinen Bruder: Sachsen-Anhalt. Am Sonntag wird dort der Landtag gewählt. Wie steht es um das ostdeutsche Stiefkind? Wir sprachen mit dem Bundesland gewordenen Komplex.
TITANIC: Provokante Frage zum Einstieg: Neidisch?
ST: Auf wen? Auf Sachsen? Wieso denn? Ich habe hier alles, was ich brauche. (Holt unvermittelt die Himmelsscheibe von Nebra hervor)
TITANIC: Wir fühlen Sie sich, angesichts der Tatsache, dass es immer nur um Sachsen geht?
ST: Gleich mal vorweg: Ich stehe Sachsen selbstverständlich in nichts nach. Auch ich habe ein gravierendes Problem mit Nazis und eine steinalte Bevölkerung.
TITANIC: Und viele verlassen Sie ja auch. Der Wegzug aus Ihren Dörfern ist enorm.
ST: Verlassen ist gar kein Ausdruck. Kennen Sie 'Ghosting?' In meinem Fall sagt man 'Köthen'.
TITANIC: Chemnitz ist europäische Kulturhauptstadt 2025. Was ist denn Ihre Kulturhauptstadt?
ST: Wissen Sie, Kultur habe ich hier schon sehr lange. Im Grunde bin ich schon lange da, wo Berlin immer hinwollte. Und ich habe die Himmelsscheibe von Nebra.
TITANIC: Dennoch fehlt es ja in weiten Teilen an Infrastruktur und Hipness, um tatsächlich so zu werden wie Berlin ...
ST (singt): "Frust kommt auf, denn der Bus kommt nicht." Sehen Sie, genau wie in Berlin. "Guten Morgen Magdeburg, du kannst du hässlich sein, so dreckig und grau" (singt weiter). Auch wie in Berlin. Die haben vielleicht das Humboldt-Forum, aber wir haben die ... na, jetzt raten Sie doch mal!
TITANIC: Die Himmelsscheibe von Nebra. Kommen wir zur Landtagswahl. Wollen Sie weiter von Reiner Haseloff regiert werden?
ST: Ganz genau, die Himmelsscheibe von Nebra.
TITANIC: Ja. Und was ist jetzt mit den Wahlen?
ST: Das wird sich zeigen. Ich würde mich zur Not sogar von David Hasselhoff regieren lassen.
TITANIC: Wird Reiner Haseloff Sachsen-Anhalt vor der AfD bewahren können?
ST: Keine Ahnung. Wer war noch mal der mit dem Auto?
TITANIC: David Hasselhoff.
ST: Dann der. Und die AfD. Naja, das wird die Himmelsscheibe von Nebra zeigen (schaut versonnen, als über Halle die Wolken aufbrechen). Ich werde mich wahrscheinlich neu erfinden.
TITANIC: Was? Wie? Wie soll das aussehen?
ST: Ein Richtungswechsel, mir Vorbilder nehmen, jemand anderes sein.
TITANIC: Und an wen haben Sie da gedacht?
ST: Thüringen. Alle mögen Thüringen. Die Nazis, die Rentner*innen, die Intellektuellen, die Touris. Alle. Und Weimar. Kennen Sie Weimar? Natürlich kennen Sie Weimar.
TITANIC: Aber was ist dann Ihr Weimar?
ST: Was ist mit Wittenberg? Weimar hatte Goethe, ich habe Luther. Und bald schon, das verspreche ich Ihnen, wird der große Martin Luther ...
TITANIC: 'Habe'? Haben Sie etwa Luther wiederbelebt?
ST: Nooor, jetzt machen Sie doch nicht alles kaputt. Auf meiner Wartburg gibt es ein noch geheimes Projekt ...
TITANIC: Ihre Wartburg? Aber die ist doch in Thüringen?
ST: Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.
TITANIC: Auf welche Kulturgüter sind Sie denn noch stolz, die in Sachsen-Anhalt liegen?
ST: Sagt Ihnen die Himmelsscheibe von Nebra etwas?
TITANIC: Ja, also dann vielen Dank für das Interview.
ST: Gerne. Kleiner Tipp noch: Einfach mal früher ins Bett gehen und dann schön früh raus. Land der Frühaufsteher. Man kann mit Hilfe der Himmelsscheibe von Nebra den idealen Zeitpunkt ermitteln.
TITANIC: Für was jetzt genau?
ST: Na, zum Aufstehen. Ich bin nämlich das Land der Frühaufsteher. Habe ich sicherlich schon erwähnt. Wollen Sie noch mal die Himmelsscheibe sehen? Was fühlen Sie, wenn Sie sie betrachten?
TITANIC: Nicht so viel.
ST: Ganz genau.
Jessica Ramczik