Artikel
Wir schiffen das! – Flüchtlinge auf Kreuzfahrt
Nicht nur Geflüchtete haben derzeit Problemchen, auch eine der sympathischsten Branchen Europas, die Kreuzschifffahrt, hat ernsthaft zu leiden. Warum also, hat man sich in Brüssel gedacht, nicht den Hauptdarstellern der humanitären Katastrophen jene Dreckschleudern der Meere zu Verfügung zu stellen, die wegen Corona ohnehin nur ungenutzt am Trockendock vor sich hinrosten? Eine Reportage.
Es ist herzergreifend, wenn man den Ausdruck in den Gesichtern dieser Menschen sieht. Mit glänzenden Augen betreten die Passagiere das imposante Schiff. Sie können ihr Glück nicht fassen: Panorama-Aufzüge, Restaurants, Bars, Suiten, Wellness-Bereiche – und sogar ein Kino begrüßt die Reisenden. Dabei haben diese Menschen schon so einiges gesehen. Liegen hinter ihnen doch die heimatlichen Wellblechhütten neben den sanften Müllbergen, sonnenbeschienene Landschaften voll pittoresker Panzerspuren und idyllische Halbwüsten, wo kein Tropfen Trinkwasser das Auge stört. Ja, das alles haben sie verlassen, nur um auf südeuropäischen Gemüse- und Obstplantagen ihr Dasein fristen zu dürfen. Und auch wenn die europäische Lebensmittelindustrie wirklich alles tut, um aus diesen mutigen Menschen das letzte bisschen Arbeitskraft herauszupressen, ist allen klar: Wir können nicht alle aufnehmen. Soviel können wir nicht fressen, wie die zusammen ernten. Da hilft auch keine Veganer-Welle.
Doch die (Sach- und Vermögens-)Wertegemeinschaft EU hat eine Idee: Flüchtlinge sollen fortan auf Kreuzfahrt geschickt werden. Der Rat der Regierungschefs war begeistert, die Reedereien Feuer und Flamme und schon wenige Tage nach dem Beschluss stachen die "Europa" und die "Deutschland" in See.
Und nun liegen sie also hier, in den Häfen von Lampedusa und Lesbos: zwei prächtige Schiffe, bereit, die neuen, zahlungsschwachen Passagiere aufzunehmen. Und es ist ein Bild der reinen Menschlichkeit, wenn man die Nachwuchskräfte in Sachen Gebäudereinigung, Toilettenhygiene und illegaler Prostitution über Bord schlendern sieht – mit Tränen der Freude. Zeigt sich doch auf einem Schiff wie der "Europa" die geballte ökonomische Power der EU in ihrer ganzen Pracht: 204 Kabinen, ein Swimmingpool mit Poolbar und ein jährlicher CO2-Ausstoß, den so manches Herkunftsland der neuen Passagiere in 10 Jahren nicht zusammenbringt. Es gibt sogar eine eigene Bibliothek für jene künftigen Müllsortierer, die lesen können. Aber auch die "Deutschland" begrüßt ihre neuen Gäste mit ganz exquisiten Extras: einem "Kaisersaal", dem Salon "Lili Marleen", einer Dialysestation und der Bar "zum alten Fritz", wo man sich auch einen "Granatsplitter" bestellen kann. Ja, diese Glücklichen sind zweifelsohne in der Herzkammer des europäischen Wertegemeinschaft angekommen. Und das ohne den Kontinent auch nur mit der kleinen Zehe zu betreten.
Aber daran denkt jetzt keiner. Sind sie doch alle zu geblendet von dem Glanz, der Ausstattung und den Taschenlampen der nächtlichen Patrouillen an Bord. Der Comedian hält sie in der "Europa-Lounge" dreimal täglich mit herrlichen Witzen über Warlords, Schlauchbootleasing und Umerziehungslager bei Laune. Und selbst wenn bei der Zugabe so manchem das Lachen im Hals stecken bleibt, als der kommende Stand-up-Star (3. Preis beim Comedy-Pokal Donaueschingen) Fischfutter im Publikum verteilt, dann wirft er rasch ein "Einmal wer anderer, was?" hinterher und schon löst sich die Anspannung in donnerndem Applaus auf. Zu gröberen Stimmungsschwankungen kommt es erst, als die "Europa" an sechs verschiedenen Häfen hintereinander (La Coruna, Bordeaux, Le Havre, Oostende, Cuxhaven und Oslo) durch Hafenpolizei und besorgte (und teils bewaffnete) Bürger am Einlaufen gehindert wird. Und auch Tage später können sich nur noch die wenigsten an den Schönheiten des winterlichen Nordatlantiks erfreuen, als mit dem Kurs nach Grönland auch die Witterung frischer wird. Vor allem, als man entdeckt, dass die Vorräte seit dem 45. Längengrad aufgebraucht sind. Da beginnt natürlich die Stimmung unter den zukünftigen Nahrungsquellen des nordatlantischen Schleimaals zu kippen. Doch bevor es zu Schlimmerem kommen kann, verrichtet der Zeitzünder im Maschinenraum pünktlich seine Arbeit. Als hätte es jemand geplant.
Sicher, im ersten Moment und angesichts dieses gesunkenen Ozeanriesens sagt man sich: eine riesige Katastrophe. Doch hat man hier von europäischer Ebene her an alles gedacht und der zuständigen Reederei (in weiser Voraussicht oder aus unternehmerischer Intuition heraus?) eine außerordentlich hohe Versicherungspolizze finanziert. So findet also im europäischen Sinne alles sein gutes Ende. Und außer den Kunden der Versicherung, die nächstes Jahr erhöhte Beiträge werden entrichten müssen, ist ja auch "niemand ernsthaft zu Schaden" gekommen. Meint zumindest ein ungarischer Vertreter in Brüssel.
Es sieht also eigentlich nach einem echten "Happy End" aus, wäre da nicht das zweite Schiff. Denn die Fahrt der Geflüchteten auf der "Deutschland" verläuft ganz anders. Hier nimmt die von der Bundesregierung neu geschaffene "Agentur für rechtsbasierte Migration, Integration, Nationalisierung, Indoktrination und unsere Sicherheit" (kurz A.r.M.I.N.I.u.S), die die Verwaltung des Schiffs inne hat, ihre Aufgabe sehr ernst: Morgensport, Keksbackkurse, Unterweisung in Sachen Straßenverkehrsordnung, Parkraumbewirtschaftung und Zivilrecht, Grünkohl zu Mittag, Grundkurs "17 Uhr im Supermarkt-Survival-Training", Heckenschneiden, Abendessen ("Schnittchen mit grober Leberwurst"), Testverhandlungen mit dem Steuerberater, Lautstärkenmessung bei den Nachbarn, 21h Nachtruhe. Dieses strenge Programm an Bord der "Deutschland" wird scharf kritisiert. Amnesty International spricht von "unmenschlichen Bedingungen" und auch Prominente wie Jamie Oliver, Sarah Wiener und Alfons Schubeck klagen an: "Jeden Tag Grünkohl ist Folter!"
Doch die Welt staunt nicht schlecht, als nach einem halben Jahr zu See die "Deutschland" in Bremerhaven anlegt und 520 Menschen an Land gehen, die wöchentlich Strompreise vergleichen, ihre Nachbarn wegen falsch geparkten Kinderwägen im Hausflur verklagen und in perfektem Deutsch "Das ist mein gutes Recht!" und sogar "Ausländer raus!" brüllen können. Da verstummen die Kritiker. Denn von diesen leuchtenden Vorbildern einer gelungenen Integration ist der durchschnittliche, fettgefressene, einheimische Frührentner mit freiem Auge nur noch am Teint zu erkennen.
So schafft man das.
Severin Groebner