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L’sars pour l’sars – Corona und die Kunstwelt
Sport, Arbeiten, Sex – alles verändert sich in der Coronakrise. Und über alle diese Veränderungen wird sehr ausführlich berichtet. Häufig mehrmals. Und in verschiedenen Zeitungen. Doch wie reagiert eigentlich die Kunstwelt?
Der Kunstsammler
"Was ist gerade los?? Corona? Ich krieg hier in meiner Villa auf meiner Privatinsel echt nichts mit, ey … Hihi, da sind Sie jetzt drauf reingefallen, was? Aber das war nur ein Scherz. Wissen Sie, ich sammle ausschließlich postmoderne Werke, deswegen mag ich Brechungen und diese Ironie so gern und wollte das auch mal ausprobieren. Wie fanden Sie das? Ansonsten ist es natürlich bedauerlich, dass ich gerade so wenig kaufen kann, aber vielleicht kann man das ganze Weltgeschehen auch einfach als Performance sehen, das ist auch sehr spannend aus künstlerischer Sicht. Wenn man sehr reich ist zumindest."
Die Museumsbesucherin
"Jetzt haben die Museen ja schon eine ganze Weile zu. Das finde ich sehr schade. Besonders vermisse ich den Museumsshop, weil es da immer so hübsche Dekoartikel gibt. Ohne die sieht meine Wohnung so karg und gar nicht nach Bildungsbürgerin aus, die bereit ist, 200 Euro für eine Nachahmung von Dürers Hasen als Nachttischlampe zu bezahlen. Außerdem vermisse ich es, japanische Touristengruppen beiseitezuschubsen und mich vor moderne Kunst zu stellen, mit dem Finger drauf zu zeigen und zu sagen: 'Das sieht dumm aus.' Oder manchmal auch einfach nur ,Pfui, pfui, pfui‘, je nach Laune."
Der Internetkünstler
"Das muss ein Missverständnis sein – ich mache gar nicht diese Netzkunst. Ich bin Kunstlehrer! Ach, da haben mir meine Schüler schon wieder einen Streich gespielt, die basteln gern mal an meiner 'Onlinepräsenz' rum, so nennen die das. Was die schon alles angestellt haben … Einmal stand das SEK vor der Tür, weil die Racker im Netz behauptet haben, ich würde immer die Malkästen aus der Schule mitgehen lassen. Es hat eine Weile gedauert, bis mir die Polizisten meine Unschuld abgenommen haben, aber mittlerweile spüre ich meine Beine fast wieder. Was haben sie denn gesagt, was ich online so mache? Aktzeichnungen von Disneycharakteren? Das war jetzt nur zufällig erraten, haha. Stellen Sie sich vor, ein Lehrer würde sowas wirklich machen, haha. Ha. Meine Schüler kennen echt kein Pardon, besonders die Jungs. Aber so sind die halt, da kann man nichts machen …"
Die Museumsdirektorin
"Ganz ehrlich: Ich freue mich darüber, jetzt etwas mehr Freizeit zu haben. Ich muss keine Leute mehr wegscheuchen, die vor meiner modernen Kunst stehen und sie beschimpfen. Jetzt lade ich einfach Bilder von unseren Kunstwerken auf Instagram hoch. Da ist der Ton zwar etwas rauer ('Günther Uecker sollte man kreuzigen!', 'Joseph Beuys war voll der Idiot'), aber dafür sind die Leute flott weg blockiert und sie schmieren nicht überall ihre Popel hin. So habe ich wieder Zeit, durch den Museumsshop zu streifen und eine Dürerlampe einzustecken."
Der Künstler
"Was, einen Künstler haben Sie schon interviewt, meinen Sie? Aber diese sogenannten Internet Artists zählen nicht. Das ist erstens englisch und zweitens meistens sehr umsonst. Zu dem Schluss bin ich gekommen. Ich hatte in der Krise viel Zeit, in meinem Atelier zu sitzen und nachzudenken. Und dabei ist mir auch aufgefallen, dass das Leben generell gerade eine Kunst ist. Besonders für Frauen und für Mütter, das sind ja auch häufig Frauen. Deswegen ist mein aktuelles Projekt, Leuten in Onlinekursen zu erklären, dass Frauen es gerade nicht so leicht haben, dann deren Reaktion zu filmen und daraus eine Videoinstallation zu machen. Der Erlös geht zu 10 Prozent an meine Exfrau. Sie möchte damit ihr Alimenteverfahren gegen mich finanzieren. Toll!"
Laura Brinkmann