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Das Werk nach dem Autor
Die Trennung von Werk und Autor: Sie ist in aller Munde, aber was bedeutet das Ende dieser profanen Liaison eigentlich für uns, die stumme Masse, die Kunst lediglich zu konsumieren vermag? Die Ausstellung "Diktatoren erleben" in Völklingen bei Saarbrücken bietet den Versuch einer Antwort, und konfrontiert das Subjekt mit dem, was von historischen Persönlichkeiten wie Stalin und Co. auch zurückbleibt: Gartenskulpturen und Selbstgefilztes. Eine Rezension
Robert Mugabe: Gerade ist der Mann kalt, und schon ist eines seiner Kunstwerke das am heißesten gehandelte Ausstellungsstück im Völklinger Bürgerhaus (ehemals Volkshaus). "Annäherung an einen Stein" heißt die noch auf dem Sterbebett zu Ende getöpferte Skulptur, die in der Mitte der Mehrzweckhalle auf einem Sockel thront und die restlichen Kunstwerke überblickt. Der stumme, blinde Wächter über das Sein in dieser sonst grauen Halle ist lediglich der Versuch eines Steins, doch seine Weisheit bleibt bestehen. Eigentlich war das Objekt für den Garten bestimmt, doch bei der Ausstellung "Diktatoren erleben" findet sich Mugabes Vermächtnis in einem neuen Habitat wieder. Ein Stein, der eben kein Stein ist, sondern Töpferkunst – fast schon zu genial. Die Entfernung vom Gesicht zieht sich von diesem "Stein" wie ein Leitmotiv durch alles hier; kein Autor, kein Künstler. Nein, nur der rohe Stein, oder eben der Versuch dessen, der uns in einen Dialog mit sich selbst zwingt. Genauso kann auch die Ausstellung am Ende nur ein Versuch bleiben; der Versuch, in eine Welt einzudringen, die wir sonst nur von außen, im Kontext der Weltgeschichte betrachten konnten. Endlich wird das Rauschen der Tagesschau überwunden und eins zu eins an den Mensch Mugabe angeknüpft, an eine andere, wilde Seite: die künstlerische.
Einfach mal wirken lassen!
Anders als viele annehmen, hat Josef Stalin nicht mit Stahl gearbeitet (das war Kim Jong-Il), obwohl Lenin in seiner Freizeit tatsächlich hervorragende Leinenhosen genäht haben soll. Nein, Stalins Vermächtnis ist ein anderes. Der strenge Schnurrbartträger warf nicht nur gerne Menschen in den Gulag, sondern auch Farbe auf die Leinwand. Sein Lieblingsmotiv: die Lilie. In gleich acht Varianten kann der staunende Betrachter die Arbeit des Künstlers mit Aquarell, Öl und Kreide auf sich wirken lassen – ungehindert durch unliebsame Massenmorde. Wenn der Blick sich in den Schichten der Farbe verliert, säubert sich der Kopf fast wie von selbst von unruhigen Gedanken wie Stalin das Land von Millionen politischen Gegnern. All das ist wie vergessen, wenn einen die exakte Strichführung der "Lilie 3" in einen kurzzeitigen Schock ob dieses lange unerkannt gebliebenen Talents versetzt. Und was ist das? Fast organisch erhebt sich aus dem Linoleumboden eine kleine Pflanze. Erst bei näherem Hinsehen wird das vorher Opake offenkundig: Es ist keine echte Knospe, sondern ein gefilztes Etwas mit rotem Blattwerk. Auf einer kleinen Plakette findet sich eine nähere Erklärung zur Passion des "Lilly Boys" (Fremdzuschreibung): "Die Lilie war des Künstlers ständige Begleiterin. Immer hatte Josef S. eine kleine Pflanze auf seinem Schreibtisch stehen, damit er auch vom Bunker aus die Sterne sehen konnte. Leider vertrugen die zarten Pflänzchen den Odor seines Bartöls (Orchidee) nicht, sodass ihr Leben ein kurzes war. In seiner Kunst verewigte er diese stummen Begleiterinnen, die in den schwersten Zeiten seine engsten Freundinnen waren."
Leihgabe aus Russland – die Skizze zur Lilie 3
Bekannt ist er vor allen Dingen für seine grausame Herrschaft im Irak und bei so manchem klugen Köpfchen auch für die Anschläge auf das World Trade Center, doch Saddam Hussein, Künstlername SADDAM, war und ist so viel mehr als ein Kriegsverbrecher. Zoom: Der nichtsahnende Besucher betritt einen dunklen Raum. Ein gelbes Dreieck, das eben gerade nicht ganz mittig an der Wand links des Eingangs seinen Platz gefunden hat, ist das einzige, was die nicht enden wollende Dunkelheit unterbricht. Doch dessen Schein ist eben nur das: ein Schein. Er vermag es nicht, den restlichen Raum zu erhellen, in dem das Subjekt sich so selbst verliert. Nur durch Berührung sind die anderen Menschen noch zu erahnen, sonst ist man allein. In einer perfekten Schwärze trifft der Besucher unverhofft sich selbst. Er sieht den Schein, doch er hilft ihm nicht. Bin ich zurück im Mutterleib? Oder auf einer Hochebene im Irak? Befinde ich mich in der Schöpfung oder schafft die Kunst am Ende sich selbst? Eine Frage, die SADDAM uns niemals beantworten wird.
Dunkelheit und gelbes Dreieck (Dreieck nicht im Bild)
Manche sagen, an Hitler war nicht alles schlecht (eine Diskussion für ein anderes Mal). Aber seine Kunst war es auf jeden Fall. Deshalb widmet die Ausstellungsleiterin Gisela Wärter nicht ihm, sondern sich selbst eine eigene Vitrine in Völklingen, flankiert von den Werken Gaddafis und al-Baghdadis (frisch reingekommen). "Ich bin zwar keine richtige Diktatorin, aber bei uns zu Hause habe ich schon die Hosen an", zwinkert die 58-Jährige, die hobbymäßig Ikea-Gläser mit Fensterfarbe bemalt und schon immer von einer eigenen Ausstellung geträumt hat. Etwas dilettantisch wirken ihre Versuche, alltägliche Szenen aus ihrem Leben darzustellen, die mit Titeln wie "Stiefmütterchen – gießen", "Fünf gemischte Brötchen – bitte" oder "Auf dem – Bürgeramt" ihren Weg auf das Glas gefunden haben. Die Farbe an der Oberfläche bleibt an der Oberfläche – schade. Die leeren Gläser sind wie Fremdkörper in der pulsierenden kreativen Aura eines Mugabes oder eines SADDAMs. So ist das, was bleibt, ein Fazit und zugleich ein Appell: Man muss wohl systematische Massensäuberungen durchgeführt haben, um Kunst zu schaffen, die berührt.
Besser als Hitler – Gisela Wärter
Antonia Stille