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Ein Kind aus dem Arbeiterbezirk

Pünktlich vor Ende des Wahlkampfs in Österreich erscheint die Biographie des Ibiza-Kanzlers Sebastian Kurz. Titanic druckt exklusive Auszüge aus dem Buch über das Leben eines der bedeutendsten Politiker Europas.

Sebastian Kurz erblickte im Sommer 1986 das Licht der Welt. Damals war ein Sozialdemokrat Kanzler in Wien, aber auch international war viel im Argen: Im Osten Gorbatschow, im Westen Reagan, Naturkatastrophen wie die RAF oder Tschernobyl. Es war durchaus ein bewegtes Jahr, das viele Menschen deshalb noch in Erinnerung haben.

Seine Eltern, Elisabeth, eine Gymnasiallehrerin, und Josef Kurz, ein Feinwerktechniker, waren einfache Leute, deren Geschichte die Geschichte von einfachen Leuten ist: Sie arbeiteten, kauften ihre Möbel bei Ikea, aßen abends gemeinsam am Tisch und gingen in die Oper. In Wien, in der die Liebe zur klassischen Musik nichts Ungewöhnliches ist, ist es der Snobismus, der die Leute zusammenhält. Ob wohlhabend oder nicht – über Menschen, die nicht einmal im Monat das Opernhaus besuchten, rümpfte man die Nase. Eine wichtige Lektion, die dem jungen Sebastian später als Staatssekretär für Integration viel helfen sollte.

Knapp vor der Geburt hatte sich Josef noch entschieden, einen Teppich zu kaufen, einen kleinkarierten Perser voller orientalischer Zeichnungen. Damals gab es noch keinen Lift im Treppenhaus, die Nachbarn halfen persönlich, ihn die Treppe hinauf zu tragen, und auch Elisabeth packte – hochschwanger! – mit an. Nun war das Wohnzimmer der im Wiener Arbeiterbezirk Meidling gelegenen Wohnung fertig, das sehnsüchtig erwartete Baby zu empfangen.

Am Mittwoch, den 27. August, war es dann soweit. Elisabeth erinnert sich: "Unser Kind war schnell da. Man hat ihn gewaschen und angeschrien und mir gebracht. Und ich fand, er ist irrsinnig, obwohl er so ein zartes Baby ist." Die Eltern gaben ihrem Kind einen Namen, der zwar im deutschsprachigen Raum schon im Mittelalter geläufig gewesen war, aber auch in den bewegten 80er Jahren noch den Wunsch nach Mittelalter und Mittelmaß ausdrückte: Sebastian.

Unterdessen entpuppte sich ihr Sohn als ein Baby, das auf der Überholspur fuhr. Denn Sebastian war in seiner Entwicklung anderen Kindern um Längen voraus. Mit bereits zehn Monaten konnte er laufen und war immer damit beschäftigt, die Außengrenzen der elterlichen Wohnung zu erfahren und zu sichern. Aber damit noch nicht genug: Die ersten kompletten Sätze sprach der kleine Sebastian bereits mit einem Jahr und stellte damit viele andere Kinder in den Schatten. Bald schon diskutierte er mit solcher Eloquenz Werke von Machiavelli, Sunzi und Clausewitz, dass seine einfachen Arbeitereltern sich sicher waren, sie haben ein Wunderkind geboren. Auf der Überholspur sollte Sebastian auch sein ganzes Leben bleiben, war mit 14 bereits so konservativ und trocken, wie es viele Menschen erst in ihren 60ern sind.

Zunächst aber war er ein Kind, das immer in Bewegung war. Bald hier, bald da, bemühte sich der dreijährige Junge, der bereits begonnen hatte, einen Stab an Beratern um sich zu scharen, überall im Privatkindergarten gleichermaßen gemocht zu werden. Dabei stellte sich schnell heraus, was der Junge, neben allen anderen Dingen, besonders gut konnte: Zuhören. Er legte dann den Kopf leicht schief, faltete die Hände vor der Brust und nickte. "Wir dachten immer, er sei eine Art Buddha oder Dackel, so leer und ausdruckslos wurde sein Blick dabei", erinnert sich seine Kindergärtnerin Annete Machek.

Zuhause wurde Sebastian in der Tradition seiner Eltern erzogen: Offen und liberal gaben sie ihrem Kind nicht nur viel Liebe mit auf den Weg, sondern vor allem Werte, aber auch Freiraum. "Was ich bei der Kindererziehung empfehlen kann, ist, die Kinder einfach normal aufwachsen zu lassen. Das Kind zu betrachten, wie man sich selber betrachten würde", erklärt Josef Kurz die Erziehungsweise seiner Familie, bevor er nachdenklich an einem Regenwurm zu kauen beginnt.

Auch wenn die genialen Tendenzen nicht von der Hand zu weisen waren, entschieden sich seine Eltern, Sebastian eine normale Schulbildung zukommen zu lassen. Im sozialen Gefüge seiner Klasse fand sich das Kind schnell zurecht und entwickelte hier eine der Fähigkeiten, die ihn heute zu einem so großartigen und unzweifelhaft einzigartigen Politiker machen: Leadership – die Kunst als Führer. Er setzte sich für seine Mitschüler ein und war zeitweise Klassensprecher.

Kurz selbst wird in einem Interview mit dem "Standard" später auf die Frage, ob er rebelliert habe, sagen: "Dauernd". Aber andere, wie der Chemie- und Physiklehrer Johannes Fuchs, sehen das anders: "Ich sehe das anders." Kurz sei "nie eine Rampensau" gewesen, sondern im Gegenteil ein "schleimiger Bückling ohne Rückgrat, der nie Auseinandersetzungen mit den anderen Klassenkameraden oder gar den Lehrern gesucht habe".

Der aufgeweckte Junge verbrachte seine Ferien oft auf dem großelterlichen Bauernhof. Einmal brachte er einen Ziegenbock von einem Mann aus dem Nachbardorf mit. "Dieser Ziegenbock tat Sebastian gegenüber ungemein unterwürfig und lieb, fiel aber anderen gegenüber durch grausames Verhalten auf. Sebastian liebte ihn trotzdem inbrünstig", schildert die Mutter. Niemand konnte damals ahnen, dass beide zusammen einige Jahrzehnte später zusammen die Republik Österreich regieren würden.

Einige Zitate entnommen aus: Grohmann, Judith: Sebastian Kurz. Die offizielle Biographie. FinanzBuch Verlag, 2019.

Babsi de le Ordinaireteur

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick