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Geheimakte BND-Zentrale

Der Bundesnachrichtendienst hat eine neue Heimat: Mitten in Germania, Entschuldigung: Berlin steht der brandneue, teure Riesenbau eines eigentlich ganz bescheidenen Auslandsgeheimdienstes. TITANIC durfte zur Hausbesichtigung.

Seit dem ersten Dolchstoß Spatenstich sind knapp 13 Jahre vergangen. Gekostet hat der Neubau mehr als eine Milliarde Euro. "Ja, schon teuer", gesteht BND-Chef Bruno Kahl (Name evtl. vom Geheimdienst geändert). "Aber es war nur natürlich, dass wir größeren Raum im Osten erhalten mussten, und wir können dem Steuerzahler versichern: Es war jeder Cent notwendig. Milliarden lügen nicht! Obwohl, halt, doch schon. Sehr professionell sogar. Genau dafür wurde das Ding doch gebaut."

Um die Dimensionen des Neubaus zu begreifen, hilft ein Blick auf die (sorgfältig gefälschten) Zahlen: 36 Fußballfelder groß ist er, 14 000 verdunkelte Fenster hat er, er beherbergt 10 000 (bisher bekannte) Büros und einen Keller, in dem fast hunderttausend Leichen Platz finden. In der Hinsicht bedarf es bald wohl also schon wieder einer Erweiterung.

Der Umzug des Nachrichtendienstes aus der "Reichssiedlung Rudolf Heß" im oberbayerischen Pullach in einen neuen Nazibau in der Hauptstadt hatte es in sich: 58 000 Möbelstücke mussten transportiert und 100 000 Umzugskisten verladen werden. Allein die Kartons ergäben richtig aneinandergereiht den Umriss eines großdeutschen Reiches, das man vom Weltall aus sehen könnte. Der Umzug, der ein Jahr dauerte und einer der größten und geheimsten in der Geschichte der Bundesrepublik war, kostete 300 Millionen Euro in kleinen, nicht numerierten Scheinen. Die Kisten wurden in verplombten Containern in nicht gekennzeichneten Lkw ohne Firmenlogo transportiert, wodurch sie auf der Autobahn sofort auffielen. Aber nicht nach Berlin ging die Fahrt – um andere Geheimdienste zu verwirren. Durch ein noch von der Vorgängerorganisation Fremde Heere Ost angelegtes Tunnelsystem wurde dann alles in die neue Zentrale geschafft. Trotzdem ein risikoreiches Unterfangen, bei dem u.a. Akten über die Unterstützung von Exilnazis leider versehentlich verlorengingen und die Bundeslade wieder in amerikanische Hände fiel.

Nun ist aber alles Wichtige am Platz, die Desinformationsabteilung z.B. im dritten Stock. Oder im vierten? Oder doch noch in Pullach? BND-Chef Bruno Kahl (Name ist aber auch wirklich zu naheliegend, um echt zu sein) ist jedenfalls stolz; nationalstolz vor allem, aber auch auf den Prachtbau. "Schauen Sie alleine mal dort", grient er freudig. "Haben Sie geschaut? Tja, dann haben Sie gesehen, was Sie nicht hätten sehen dürfen! Und jetzt schauen wir uns mal den Keller an."

Auf dem Weg zeigt er einige Büros. In jedes passen bis zu sieben Agenten, auch wenn man denkt, es wären nur drei oder vier, je nach Tarntrainingsstand. Jeder Raum ist ausgestattet mit modernster Abhörtechnik (Internet), gut erhaltenen Yps-Nummern und Spezialanfertigungen dieser Bürobälle, da Rückengesundheit für BND-Mitarbeiter besonders wichtig ist. "Weil einem da im Feld immer so viele reinfallen", lacht Bruno Kahl sein Bruno-Kahl-Lachen, das nur vergisst, wer hinterher beseitigt wird. Und wie auf Kommando tauchen schon "Europas modernste Folterzellen" auf. Schreie und Flüche in verschiedensten nichtdeutschen Sprachen dringen erstaunlich leise aus ihnen. "Angenehm ruhig, was?" freut sich Bruno K. (Name plötzlich anonymisiert). "Wir haben einfach die Akustik der Elbphilharmonie kopiert, hahaha!" Seine Mimik zeigt ein brüllendes Lachen; es kommt im Ohr an wie ein Schmunzeln.

Doch kurz darauf wird B. Kahl stumm und etwas nachdenklich, als er vor der riesigen Reinhard-Gehlen-Statue kniet und sein Hakenkreuz schlägt. "Apropos Elbphilharmonie", hatte ein mittlerweile allzu früh verstorbener (aber aus anderen Gründen) Reporter angesetzt, "ist die neue BND-Zentrale ein Milliardengrab?" Kahls Stirn tarnt sich bis zum Nacken in Falten. "Na ja, das könnte schon stimmen, aber schon die Abteilung Fremde Heere Ost hatte viel Erfahrung mit Massengräbern. Und wozu sind wir da, wenn nicht zur Erhaltung einer nie ernsthaft in Frage gestellten oder gar aufgearbeiteten Tradition, die ihre Wurzeln im Vernichtungskrieg hat?" Ähm … "Und wir sind doch immer noch im internationalen Vergleich ein klitzekleiner Geheimdienst. Schauen Sie doch mal auf die Amis, die Russen oder den Mossad. Oh, der Mossad! Gemessen an denen sind wir doch nur ein hilfloses Kindlein."

Nun weint er, wischt sich aber tapfer die Tränen ab und rennt in Europas größte betriebseigene Kita "Villa Lebensborn", in der die unehelichen Kinder von BND-Mitarbeitern spielerisch zu Superagenten der Zukunft herangezogen werden. Im neuen Geheimdienstpalast hat man eben die Zukunft im Blick ohne die Vergangenheit zu vergessen.

Dieser Text löst sich wenige Sekunden nach dem Lesen selbständig auf, mitsamt dem Autor*²

* Tim Wolff

² Keine Mitteilung des BND!

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg