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Gutkinder – sie sind mitten unter uns

Nach Emma, Greta & Co.: Minderjährige Moralapostel und zahnlückige Weltverbessererinnen unterwandern unser Land. Eine Horrorreportage

"Ich kann einfach nicht mehr", ruft Isabel Meyer und vergräbt das tränennasse Gesicht in den Händen, an ihrem Küchentisch in ihrem hübschen Reihenhaus in Hildesheim. "Ich halte diese beiden Freaks nicht mehr aus!" Die beiden, das sind ihre Töchter Luise (13) und Henriette (15), politisch und ökologisch engagiert. "Dauernd kritisieren sie mich, verdrehen die Augen, rümpfen ihre Näschen." Bei Amazon bestellen, Einwegslips tragen oder ein paar Dosenbier wegschädeln, gerne mit Plastikstrohhalm – all das tut Isabel Meyer nur noch hinter verriegelter Kellertür. Viel mehr Freuden bleiben ihr nicht. Seit zehn Jahren ist Meyer Vegetarierin, fühlte sich damit stets gut. Meyers Töchter leben vegan. "Sie beschimpfen mich als Milchschlampe, als Eierdiebin", schluchzt die alleinerziehende Mutter: "Mein Gott, sie könnten doch mal die hässliche Dicke in ihrer Schule mobben, nicht mich!"
Die ältere Tochter engagiert sich in einer paramilitärischen Grrrl-Gruppe, fordert eine Frauenquote für Führungskräfte von 95 Prozent. Die jüngere schreibt gerade an einem Manifest, Thema: "Wählen bis 16". Das Argument: Danach denke man bloß noch ans eigene Fortkommen, fröne dem Hedonismus. "Und ich weiß nicht mal, was Hedonismus heißt", seufzt die 46jährige und trocknet ihre Tränen. "Mein Gott, die beiden sind Teenager, sie sollten sich das Hirn aus dem Schädel vögeln, den Nachtisch überm Klo auskotzen und über ihren Körper jammern – nicht über die Welt."

"I love Bono"

Jahrzehntelang waren es nur einige wenige: Heranwachsende, die ökologisch bewusst lebten, sich irgendwelche Gedanken machten, auf Demos gingen oder Capri-Sonne aus Tuppertassen schlürften. Doch von Jahr zu Jahr werden es mehr. Spätestens seit den aufrührerischen Reden der Anti-NRA-Aktivistin Emma Gonzáles und dem Beginn der Freitagsstreiks nach dem Vorbild der minderjährigen "Ökopathin" ("Bild") Greta Thunberg ist nichts mehr, wie es einmal war. Das Gutkindertum, es greift um sich. Die Folgen sind längst sichtbar. In den Snackautomaten der Schulen türmen sich wiederaufbereitetes Trinkwasser, Alcopop-Flaschen mit Transfair-Siegel und Kondome aus Naturkautschuk. Die Toilettentrakte zieren gewaltbereite Sprüche ("Zirkusboykott – Folterstopp") oder "Al Gore, ich will ein Kind von dir!"
Unbeschwert in den Tag leben, Schülerstreiche aushecken, Komasaufen – das war mal. Die Gesichter der "Generation Gutkind" sind ernst und knochig, gezeichnet von Hungerstreiks für mehr Dinkelprodukte in der heimischen Vorratskammer oder für offene Grenzen. Picklige Jungs patroullieren mit Müllgreifern über den Schultern durch Straßen. Schreibbegabte Mädchen verfassen Pamphlete gegen das 300 000 Jahre währende Adultariat. Ihre Computerspiele heißen "Climate Combat", "World of Windcraft" oder "Hunting Robben Hunters". Hostelurlaub in Thailand reizt sie nicht mehr. "Warum auch, ich habe hier mein Insektenhotel", twittert ein Abiturient genügsam. Krötenwanderung statt Klingeljagd, das ist die Devise. Doch: Woher kommt dieses neue Verantwortungsgefühl?

6600 Kilometer mit dem Zug

"Also von mir nicht", beteuert Gernot Baumann aus Düsseldorf, auch er ein Leidgeplagter. Letzten Sommer wollte er mit Frau und Kindern schön nach Marokko fliegen, wie immer. Doch dann weigerte sich sein Sohnemann, 7. Klasse, faselte was von CO2, Kerosin, glutamathaltigem Flugzeugfraß und kettete sich an die Wohnzimmerlampe. Also fuhr die ganze Familie nach Marrakesch mit dem Zug. Neun Stunden mit der Deutschen Bahn, 28 per Orient-Express, 19 mit der Transafrikanischen und sieben dem Maghreb-Bähnle, "und zwischendurch hat der Grünschnabel noch mit afrikanischen Binnenflüchtlingen Hirsebier getrunken", stöhnt der Familienvater über seinen Sprössling noch heute: "Nie wieder!" In den letzten Monaten sei der Junge noch seltsamer geworden. Manchmal gehe er abends in den Garten und umarme die Linde. "Ist das irgendwie eine neue sexuelle Orientierung, oder was? Als wir in dem Alter waren, haben wir uns selber gestreichelt, nicht Bäume!" 

Volle Terminkalender

Doch: Es gibt auch Eltern, die ihre Kinder in ihrem Kampf für eine bessere Welt unterstützen. So wie Miriam Schulze aus Darmstadt. Begeistert kutschiert sie ihre Tochter nach Schulschluss zur Arbeitsgruppe "Kohleausstieg – sofort", erinnert an die Schweigeminute für indigene Fracking-Opfer, packt den Kinderrucksack für die Zeltparty vor der örtlichen Hühnerfarm mit anschließender Befreiungsaktion. "Hopp hopp, Finja, gleich ist Anketten an der alten Eiche", klopft die Mutter auf ihre Armbanduhr, während sie die stählernen Handschellen poliert. Hinter jedem engagierten Kind stehe ein engagierter Elternteil, ist Miriam Schulze der Ansicht. Stolz sei sie aber weniger auf sich selbst, sondern vielmehr auf diese tolle, junge Generation. "Wenn ich da an meine eigene Jugend zurückdenke ... Klappstullen in Alufolie, Abifeten mit Einwegbechern, Gerhard Schröder wählen ... Wenn ich heute nochmal jung wäre, würde ich auch in geleakten Dokumenten schnüffeln, nicht mehr am Sekundenkleber", sinniert die fröhliche Helikopter-Mutter, die sich jedoch, des geringeren CO2-Ausstoßes halber, lieber als Paraglider-Mom tituliert.

Ella Carina Werner

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg