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Tabuthema Nr.1 – Altersreichtum in Deutschland

Bestürzend: In Deutschland gibt es immer mehr vermögende Rentner. Nur ungern sprechen die Betroffenen über ihr Schicksal. Eine Reportage.

Der Himmel ist blau an diesem Montagmorgen in Hamburg-Eppendorf, blassblau wie ein 20-Euro-Schein. Oswald Knedsel richtet sich in seinem Himmelbett auf. Der 73jährige sammelt die Schlafkrumen aus den Tränensäcken und blinzelt durchs Panoramafenster seines altersgerechten Lofts. Ein unbeschwerter Tag könnte es werden - trüge er, Oswald Knedsel, nicht diese Bürde. Täglich schleicht sich dieselbe Sorge ein, die immerbange Frage. "Wohin mit meinem Geld?" ruft der rüstige Rentner, dass es von den Wandgemälden hallt, und rauft sich das gepuderte Haar. 

Dr. Owald Knedsel ist kein einfacher Rentner. Er ist Premium-Rentner, Rentner deluxe. Er war Schuldirex, jetzt ist er Pensionär.  4600 Euro Altersversorgung erhält er jeden Monat – netto. "Wenn es wenigstens brutto wäre", ächzt Knedsel und klemmt sich einen Monokel unter das Schlupflid. Sein Lebenslos ist nicht leicht. "Mo' Money, mo' Problems", zitiert der einstige Staatsdiener seufzend einen Song aus der Brooklyner Rapszene, entfacht an einem Streichholz eine Zigarre und einen Hunderter. Sein Auftrag: Zeit und Penunzen (Seniorensprache) verballern, den ganzen Tag. Damit es am Ende nicht seine Erben einsacken, die vermaledeiten, nichtsnutzigen Kinder und Kindeskinder: "Die kriegen doch nie was gebacken, nicht mal einen Frankfurter Kranz!" Knedsel greift zum Telefon und ordert was fürs Mittagessen: "Hallo, hallo, Bofrost? Bitte zwei lecker Kohlrouladen, glasiert mit Blattgold, 24 Karat!" Doch ganz egal, wie viel er verprasst und auf großem Klumpfuß lebt: "Am Ende bleiben mir immer noch über 3000 Euro zum Leben", stöhnt der von Plutos Begünstigte.

Knedsel ist nicht der einzige. Millionen bundesdeutsche "Zastergreise" (Kevin Kühnert) leben so wie er. Es sind Rentner mit exorbitanten Bezügen, Pensionäre, FDP-Wähler, Erben, Münchner. Ein Teufelskreis: In Deutschland gibt es immer mehr alte Menschen. Und immer mehr alte Menschen sind betucht. Die Zahlen sind erschreckend: 32 Prozent der bundesdeutschen Rentner leben oberhalb der Reichtumsgrenze – Tendenz steigend! Vor allem in Hamburg, Bad Reichenalt und dem Großraum München (Radius 400 km) gibt es immer mehr "steinreiche Grabverweigerer" (Statistisches Bundesamt). Die verheerenden Folgen: Generationenkämpfe, Fettleibigkeit, Ennui, unzählige Opern-Abos zum Seniorenrabatt und abstoßende Wellensteyn-Jacken im Stadtbild. Doch: Sprechen will über den sauren Geldregen kaum einer der Betroffenen. Zu groß die Angst vor Stigmatisierung. 

Money, Money, Money

Auch die Nürnbergerin Marianne von Möllenhain hält sich lieber bedeckt: "Ich möchte nicht darüber sprechen. Na gut, eigentlich doch." Die gottesfürchtige 97jährige besitzt eine gepfefferte Witwenrente, sechs Altbauvillen in Bestlage sowie drei Butler aus Honduras. "Für mein Vermögen habe ich mein ganzes Leben nicht gearbeitet", resümiert sie stolz und zeigt ihre schwielenlosen Hände. Die alte Dame thront in ihrer Sehrguten Stube auf dem silberdurchwirkten Ohrensessel, legt die faltigen Hände in den Schoß. "Ich hab ja so viel Asche. Die meines verstorbenen Mannes dort auf dem Kaminsims und die im Schlafzimmer." 

Denn: Statt zu prassen, hortet sie ihre Taler. Nicht unter dem Kopfkissen, sondern darinnen. "Den Tipp hab ich aus 'Focus Money'", schmunzelt die Greisin. Ihren ungemeinen Wohlstand behält sie aber tunlichst für sich. Das Problem, flüstert von Möllenhain, seien die vielen Neider, die Sozialschmarotzer: Ihre Nachkommen, 17 an der Zahl. Rufen an, betteln um einen Studienzuschuss oder einen Laib Brot. Ihr Leben sei ein einziges Versteckspiel, ein Spießrutenlauf. Draußen trägt sie beige Funktionsjacke, drinnen Chinchilla. Auch ihren angeheirateten Adelstitel trägt sie nur noch im Haus. Ihre "Minusschulden" (scherzh.) sind ihr etwas peinlich: "Jessesmaria, allein meine Witwenrente ist zwanzigmal so hoch wie das Lehrlingsgehalt meiner Urenkelin." Umverteilen wolle sie aber nicht. Soziale Ungleichheit müsse man hinnehmen: "Gott wird schon wissen, warum er das tut."

Noch dicker kommt es lediglich, wenn beide Partner hohe Bezüge erhalten, so wie das Doppelrentenbezieherpaar Robert und Wilberta Herbst aus Meerbusch: "Double pension, no grandchildren", bringen die beiden ihre Erfolgsformel auf den Punkt. Was nagt, sei jedoch das schlechte Gewissen. Und die körperliche Belastung. Erst kürzlich musste sich das Paar einen Rollator zulegen, um die Geldsäckel zu transportieren. Fernweh plagt die beiden auch. Die Alterspyramiden in Ägypten wolle man bald sehen. Die Eheleute Herbst stehen vor einer Entscheidung: vielleicht doch noch auszuwandern, alles zurückzulassen, noch einmal ganz neu anzufangen. In Norwegen, oder der Schweiz. "Uns ist das hier alles zu billig", lacht Robert Herbst. Ein mutiger Schritt. 

Ella Carina Werner

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt