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"Ficker" zum Kinderwort des Jahres gekürt

Jahr für Jahr blickt die Welt gebannt nach München. Denn jeden Herbst präsentiert der Langenscheidt-Verlag dort einen mit Knallfröschen und Zuckerstangen von der Straße gelockten Schulschwänzer, der das Jugendwort des Jahres verkünden wird. Stundenlang reden die besten Pädagogen des Landes auf den Lausebengel ein, ihm eine Silbe zu entlocken, bis er irgendwann entnervt den Kaugummimund aufmacht und einige schwer verständliche Laute von sich gibt. Ein Phonetiker schreibt diese Äußerung auf und reicht den Zettel einem Informatiker, der die Transkription an die Verlagszentrale durchtelefoniert, wo ein BWLer die Bedeutung des Gehörten googelt und ggf. ergänzt. So entsteht das Jugendwort des Jahres, das so heißt, weil lustige Journalisten Jugendliche fragen möchten, ob sie dieses Wort schon einmal gehört haben.

Theorie und Praxis 

Sprachwissenschaftler ohne Zuwendungen von Langenscheidt kritisieren das Verfahren als unwissenschaftlich; insbesondere solche, die selbst über die Sprache Heranwachsender forschen und dafür wenig Aufmerksamkeit bekommen. Im Hotzenplotz-Institut an der Universität Münster hat man darum in Zusammenarbeit mit der Pixi-Reihe das Kinderwort des Jahres gekürt – und zwar rein wissenschaftlich, durch direkte Erhebung der Gebrauchshäufigkeit. Projektleiter ist Germanist Julian Reichert, Mitte vierzig, Bildschirmbräune und Brille im Gesicht. Die meiste Zeit ist er im Lande unterwegs, um den kleinen Leuten aufs schokoladenverschmierte Mäulchen zu schauen. "Germanistikwissenschaftler, wenn ich korrigieren darf", wendet er zunächst ein. "Es ist richtig: Ich begebe mich für Recherchen zu Sprecherchen und höre heimlich mit, was die Lütten so rauslassen. Daraus erstelle ich einen winzigen Korpus, bei dem ich anschließend Fieber messe." "Fieber messen" nennen Linguisten die Datenauswertung, manche jedenfalls. Heute ist Reichert auf einem Spielplatz unterwegs, um die neuesten Worthits der Kids aufzuschnappen. Gut getarnt mit Trenchcoat, Hut und Sonnenbrille schleicht er sich, das Mikrophon gezückt, aus dem Gebüsch an die Spielgeräte heran und lauscht dem Geplärr.

Germanist Reichert gibt die erlauschten Kinderwörter weiter an die Zentrale

Job mit Tücken

Das Timing ist entscheidend, oft hat der Kinderfreund nur wenige Augenblicke, bis er von überängstlichen Eltern entdeckt wird. "Meine Arbeit wird leider nicht gern gesehen", seufzt Reichert. "Sie halten mich wahrscheinlich für was weiß ich wen. Ich erkläre ihnen stets, dass ich Pädophilologe bin, so lautet die korrekte Berufsbezeichnung für die Erforscher von Kindersprache. Dann kommt meistens auch schon die Polizei und holt mich ab." Heute glückt der geheime Lauschangriff. Unbemerkt von den Erwachsenen kann Reichert in ein buntes Häuschen schlüpfen und den Rekorder starten. Ganze zwei Minuten dauert die Aufnahme! Zwei Mütter zerren den Gelehrten schließlich aus dem Plastikbau und schlagen ihm brutal die Fresse ein. Dass die Heimlichtuerei für die häufigen Zwischenfälle verantwortlich sein könnte, leugnet Reichert nicht, sieht aber keine Alternative, wie er in der Einleitung seines jüngsten Aufsatzes schreibt: "Zweifelsohne könnte den die Aufsicht obliegenden Bezugspersonen der Objekte des Forschungsinteresses ein Einverständnis abgenötigt werden, aber der unbewusst von Erziehungsseite an die Schutzbefohlenen gesendete Code würde das Ergebnis der Studie zwangsläufig verfälschen. Kennen Sie das Doppelspaltexperiment? Ich sage nur Quantenmechanik, dies-das."

Um zwei Zähne ärmer, aber glücklich pflegt Reichert im Büro sein neues Material in die Statistik ein. Das Ergebnis für dieses Jahr ist damit endgültig: Platz drei und zwei belegen, wie schon bei früheren Erhebungen, "Menno" und "Bauchweh"; an der Spitze aber steht überraschend ein Neuling: "Ficker". "Die Kreativität der Kleinften begeiftert mich immer wieder", schwärmt Reichert. "Fie wiffen überhaupt nicht, waf daf Wort bedeutet, und verwenden ef in völlig abfurden Pfufammenhängen. Pfum Beifpiel: 'Fabi ift ein Ficker', obwohl jeder weif, daff Fabi kein Ficker ift, denn Fabi ift erft drei." Im Zuge seiner Feldforschung musste Sprachnerd Reichert natürlich zunächst herausfinden, ob die Kinder mit "Ficker" etwas anfangen können. Dazu schlich er sich in Kindergärten und interviewte die Schreihälse. Das Ergebnis: minus zwölf Zähne, und keiner der Befragten konnte ihm erklären, was ein Ficker sei. Die Pixi-Reihe möchte sich derweil aus internen Gründen wieder aus dem Projekt zurückziehen, die weitere Finanzierung des Hotzenplotz-Instituts ist damit offen. Als wir Prof. Dr. Julian Reichert mit diesen Tatsachen konfrontieren, bricht er spontan in Tränen aus und kriegt sich über Stunden nicht mehr ein. Er hofft jetzt auf die Zahnfee.

Valentin Witt

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg