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Inside Hambacher Forst – Kohle, Kot und Kampfgeschrei

Es herrscht Krieg. Mensch gegen Natur. Natur gegen … ach nee. Viele reden derzeit vom Wald, doch viele sehen vor lauter … nein. Manche zittern wie Espenlaub, wenn sie die Bilder … ach, und so weiter. TITANIC-Redakteur Fabian Lichter war jedenfalls selbst im Hambacher Forst, um von dort zu berichten, was sonst keiner schreibt:

Hambacher Forst, 9:00 Uhr morgens. Ein Kuckuck weckt uns, ein Siebenschläfer schlüpft aus meiner Hose. Schade. Es war eine kurze Nacht, hier auf dem Strohbett im Baumhaus von Rotti und Anka. Ihre genauen Namen kenne ich nicht, die Verständigung erfolgt mit Hand und Fuß, weil vor allem Rotti stark schwäbelt und sich parallel noch mit einem Buchfinken unterhält. Gestern hat die Polizei begonnen, den Wald zu räumen. Ich durfte mit einem kleinen Team von Journalisten in den Kreis der Aktivisten vordringen und kann jetzt von dort berichten. Der Wald ist ein Schlachtfeld. Doch eines ist klar: Es ist ganz anders, als die dekadenten westlichen Mainstreammedien berichten.  

Mit einigen Ritualen, über die ich an dieser Stelle nicht reden möchte (na gut: Bullenkloppen, Eichhörnchenblut trinken, das große Geschäft im Freien machen), konnte ich im Vorfeld das Vertrauen der Naturschützer erlangen und darf mich nun in ihrem Hoheitsgebiet bewegen, als wäre ich einer von ihnen. Ohne dieses Übereinkommen wäre ich verloren. Beschimpfungen bezüglich des Essverhaltens, kritisches Betrachten der Herstellungsweise der Klamotten oder das Vorrechnen der persönlichen CO2-Bilanz sind nur einige Foltermethoden, die diese verschworene Gemeinschaft für Andersdenkende sonst bereithält. 

Auf der anderen Seite stehen die einfachen Faschisten Polizisten. Sie wollen das Waldstück im Dienste der Wirtschaft roden, die dort statt dessen einen riesigen Krater errichten will. So heißt es jedenfalls von offizieller Seite. "In Wahrheit wird wahrscheinlich wieder nur der besserverdienende Teil der Gesellschaft in diesem Krater wohnen können", raune ich, um bei den Aktivisten Eindruck zu schinden. Rotti klärt mich auf, dass es hier nicht um Wohnfläche geht, sondern um Energiegewinnung, da dort Braunkohle abgebaut werden soll. 

Die Aktivisten harren seit Tagen und Wochen aus, manche sind gar seit Jahren hier, während die Polizei immer wieder mit Verstärkung nachrückt. Doch sie haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Polizei: Sie kennen den Wald wie ihre Westentasche. Viele von ihnen sind passionierte Wanderer, einer von ihnen war sogar schon mal in Kanada. Manche sind untrennbar mit dem Wald verwachsen. Im wörtlichen Sinn. Eine Taktik der Aktivisten: Indem sie das Moos an den Bäumen auf die Südseite geklebt und so den Orientierungssinn der Beamten bewusst irritiert haben, konnten sie die erste Welle überstehen. Eine ganze Hundertschaft habe sich so verlaufen und sei laut einer Pressemitteilung der Polizei verhungert. Wenn nicht noch schlimmer. Im Aktivistencamp gibt es deshalb heute Dosenravioli vom Gaskocher und mineralisiertes Wasser für alle, was wesentlich gesünder ist als das tote Wasser aus dem Hahn, erzählt "Bolle", der 41 Jahre alt ist. Mehr erfahre ich nicht über ihn, weil ich ihm nicht weiter zuhöre.  

Bei der großen Feier am Abend wird mir als Neuankömmling das Gesicht mit einer seltsamen braunen Masse (alter Lehm?) bemalt, und die Aktivisten tanzen um mich herum. Nach einem wilden Besäufnis mit Naturradler und einer eigenartigen Pilzsuppe fühle ich mich eins mit dem Wald. Alles leuchtet, und ich höre interessiert den Erzählungen eines Steines zu, der mir erzählt, dass er schon seit Jahrhunderten hier lebe. Als die Sonne aufgeht, verabschiede ich mich und bedanke mich für die Gastfreundschaft. Aus Trauer über meine Abreise wirft mir manch einer einen Stein hinterher. Aber es muss sein. Den nahenden Tag möchte ich mit den Polizisten verbringen, ich will beide Seiten zu Wort kommen lassen.

Redakteur Lichter befragt alles, was im Forst kreucht und fleucht.

Die Polizisten nehmen mich skeptisch in Empfang und rümpfen ein wenig die Nasen, sobald ich zu nahe komme, einer beschießt mich sogar mit Tränengas. Denke ich zumindest. Nach einmal schnuppern stellt sich heraus, dass es lediglich Axe-Deo war. Brennt aber auch höllisch, wenn man das in die Augen bekommt. Immerhin verschwinden die Fliegen, die seit dem Vorabend um mein Gesicht geflogen sind. Die Polizisten sind nur notdürftig geschützt. Mit Ganzkörperrüstung, sehr kleinen Räumpanzern, Tränengas und Gummigeschossen. Im Grunde bestehe da von vornherein keine Chance gegen die Aktivisten, so die allgemeine Stimmung unter den Beamten. In solchen Situationen habe sich eine alte Selbstverteidigungstaktik bewährt, erklärt mir der Polizist mit der Erkennungsnummer "1312": zu fünft auf einen. 

Bereits gestern sind die ersten Baumhäuser abgerissen worden, nur wenige stehen noch. Es ist schwerer geworden für die Polizisten, höre ich. Schuld sei die Bürokratie. "Früher, zu Zeiten von Brokdorf, da durfte man noch knüppeln, was das Zeug hält. Heute dürfen wir zwar auch noch knüppeln, müssen uns danach aber das OK vom Einsatzleiter abholen. Das verkompliziert die Arbeit ungemein", erzählt mir ein Polizist mit sehr dicken Oberarmen. 

Als ich den Wald verlasse, werde ich aus Versehen brutal niedergetreten. Man hält mich für einen der "Waldmenschen", wie sich herausstellt. Kurz darauf habe ich Kabelbinder um die Handgelenke und einen Quarzhandschuh im Gesicht. Als ich erzähle, dass ich von der Presse bin, werden die Tritte härter. Die Nerven liegen blank im Wald – verständlich. Nach einer knappen Stunde bin ich jedoch bereits im nahegelegenen Krankenhaus und genieße es, endlich mal wieder richtig gewaschen zu werden.  

Schwer zu sagen, wer in diesem Krieg gut und wer böse ist: Die einen arbeiten im Dienst eines Schweinesystems, das den Planeten restlos zu zerstören bereit ist und knüppeln pflichtbewusst drauflos, die anderen schlafen auf Bäumen und vergraben ihre Haufen im Moos. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg