Inhalt der Printausgabe

Oktober 2005


F.K. Waechter lebt!
(Seite 4 von 4)

Das Comeback
Irgendwo in der Redaktion müssen noch alte Hefte lagern aus den 90ern. Anno 92 nimmt er seinen Abschied von der Zeichnerei in
einem langen Interview. »30 Jahre sind genug«, sagt er und ist nicht mehr zufrieden mit der Einsamkeit am Tuschtisch, somnambule Glücksmomente hin, coup de grace her. Im Theater sei mehr los. Vorher – die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht – gab’s in
jedem Hefi – »Hefi« ist gut. Besser als »Heft« – in jedem Hefi, sage ich, gab’s zwei Waechter-Premieren: »Das stille Blatt« und »Die Rückseite« – jeweils ein ganzseitiger Cartoon. Und damit sollte es nun ein End haben? Im Theater hatte er schon zwei Erfolgsstücke vorgelegt: »Schule mit Clowns« und »Kiebich und Dutz«. Und nun fing Waechters »theatralische Sendung« erst richtig an, und manche Stücke sind immer noch und hoffentlich noch lange im Repertoire. Doch Jahre später spürte er, daß Übler Überdruß aufqualmte und Lore Langeweile ihren grauen Mantel… Er wußte, was zu tun war. Zeichnen? Genau! Und er produzierte Kinderbücher eins nach dem anderen, der »Rote Wolf« brachte ihm den zweiten deutschen Jugendbuchpreis ein, und das vorletzte große Buch, sein »Prinz Hamlet«, bündelt Theater und Grafik auf durchaus somnambule Weise – wir wissen ja: Auch seine Cartoons sind Inszenierungen, »Papiertheater«, wie Wilhelm Busch sein Zeichengeschäft nannte. Bitte: »Ein Riß ging durchs Zimmer – der Abend war gerettet« – eine Szene einer Ehe, aber schon wie!

Die Schöpfung
Das war sein größtes Buch, bis »Waechter« erschien 2002. Und handelt vom kleinsten Schöpfer, einem Bengel mit roter Fliege am Hals und Zylinder auf dem Kopf. Eine Rieseninszenierung mit allen Papierbühnentricks des graphic design. »Und weil sonst nichts war, machte ich in die Leere und machte das Meer.« Der namenlose Knirps pinkelt, und das Meer erglänzte weit hinaus. Dann furzt er noch den Wind und kackt das Land und schafft sich sein Ebenbild, das ist aber ein Mädchen. Und dann wird gottsallmächtig collagiert und die Welt erschaffen, daß es nur so eine Unart hat – es ist eine Pracht, wie er das macht.
Und doch denk ich oft zurück an das Glück der »Kronenklauer«, deren Text er mit Bernd Eilert gemacht hat. Und an sein dünnstes kleinstes Kinderbuch: »Wer kommt mit auf die Lofoten«, Anfang der 70er Jahre für Moritz, Robert und Philipp, seine Söhne, in ein Schulheft geschrieben und gezeichnet, als er grade in Norwegen war. Erschienen ich glaub 81 – im VSA-Verlag Hamburg im Rahmen der Kinderbuchreihe »Der Große Bär«. Wo bleibt die Neuauflage? Überhaupt: Die Gesamtausgabe! Und seine Filme!

Finale I

In seinen Cartoons ist er der Meister der Ensembleszenen. Wird deshalb auch – von mir – der Mozart des Cartoons genannt. »Im Alter mußten wir Ralfi einäschern, weil er sein Wasser nicht mehr halten konnte.« Auf der Bühne sieben Personen, die auf sieben
Arten ihre Betroffenheit zeigen – sehen Sie selbst! Dergleichen find ich nur noch bei den Finalszenen von Mozarts Da-Ponte-Opern. Figaro!

Im Alter mußten wir Ralfi einäschern, weil er sein Wasser nicht mehr halten konnte.
Finale II
»Ich lag in meinem Grab und weinte vor Glück und sog den Duft der feuchten Erde ein und sah den Mädchen nach in ihren dunklen Pluderhosen und glaubte eine gut zu kennen aus meiner Zeit in Mölln. Sie wohnte in der Bismarckstraße und hatte damals lange blonde Haare, und einmal haben wir in einem dunklen Hausflur rumgeknutscht, weil sie mich offenbar für Manfred Holthoff hielt.«
(Das war im Oktober-Hefi Titanic 1987 das »Stille Blatt«.)

F.W. Bernstein



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg