Inhalt der Printausgabe
Oktober 2005
Vom Fachmann für Kenner (Seite 9 von 16) |
Ich nahm den Helm Ich finde es seit jeher faszinierend, einen Motorradhelm zu tragen. Separiert von der Welt und ihren schädlichen Einflüssen, schildkrötengleich unter einem Panzer versteckt und zum Teil meiner Sinne beraubt, fühle ich mich seltsam geborgen; obwohl ich freilich nie ein Motorrad hatte und auch kein anderes Gefährt, das einen solchen Helm erforderlich gemacht hätte. Mit vierzehn besuchte ich eine Veranstaltung im sog. Markgrafensaal meiner kleinen mittelfränkischen Heimatstadt, wo die örtliche Sparkasse sich der jungen Kundschaft versichern wollte und also ordentlich Rockmusik, Essen und Getränke auffuhr und auch ein Preisausschreiben veranstaltete. Ich nahm selbstverständlich teil. Ehrengast war ein gewisser Wimmer Martin, Motorradrennfahrer, der zu später Stunde die Gewinner ansagte. Erster Preis: ein Motorradhelm, wahlweise 600 Mark. Daß das Publikum lachte, als ich auf die Frage »Helm oder Bargeld?« »Ich nehme den Helm« sagte, führte ich auf meine natürliche komische Ausstrahlung zurück. Wie wenig durchdacht jedoch, ja wie geradezu verblüffend idiotisch diese Entscheidung war, fiel am nächsten Morgen zunächst meiner Mutter auf: »Den«, sagte sie, »kannst du ja nicht einmal verkaufen!« Und tatsächlich: Nicht nur hatte ich mich für den Helm entschieden, sondern auch noch für einen, der auf meinen vierzehnjährigen Kopf paßte, aber kaum auf einen halbwegs ausgewachsenen. Meine Mutter hat ihn dann über die Straße an irgendeinen Nachbarn verkauft und, glaube ich, fünfzig Mark dafür bekommen, immerhin, und immer wenn es für mich eine ganz offensichtliche Entscheidung zu treffen gilt, etwa die zwischen lebenslanger Sofortrente und einer Tracht Prügel, heißt es seitdem für mich: »Ich nehme den Helm.« Ein schönes Lebensmotto, und später freilich auch der Titel meiner von Stefan Gärtner verfaßten Biographie: »Er nahm den Helm«. Oliver Nagel
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