Inhalt der Printausgabe
April 2005
Humorkritik (Seite 6 von 8) |
Rote Gourmet Fraktion |
"Verkrustete Strukturen", "Sinn machen", "geniale Saucen", "lecker", "Event", "Philosophie" - will ich solche Schludrigkeiten überhaupt noch lesen? Selbstverständlich nicht. Und doch mußte ich es tun, um den Rätseln um die "Rote Gourmet Fraktion" auf den Grund zu gehen. Hinter dem netten Namen verbirgt sich ein agiler Catering-Service für Rockbands (Die Ärzte, Fury In The Slaughterhouse, Die Toten Hosen, The Cult, Phillip Boa, Rammstein etc.), und zwar einer, der seit einiger Zeit die Szene mit dem Buch "Rote Gourmet Fraktion - Kochen für Rockstars" (Kiepenheuer & Witsch) aufmischt. Nämlich: "Als Newcomer mischt die Rote Gourmet Fraktion jetzt die Literatur-Szene auf. Mit Spaß und Enthusiasmus verschaffen die beiden Unikums, die scheinbar (!) niemals erwachsen werden, allen Fans und Feinschmeckern einen Einblick in das, was Leib und Seele auf Tour zusammenhält. Jörg und Ole erzählen mit Ironie und Wortwitz ihre ungewöhnliche Geschichte, ihre Erlebnisse und einige ihrer Rezepte." Tatsächlich erzählen Ole Plogstedt und Jörg Raufeisen (in der Übersetzung von Hollow Skai) komplett unironisch den ganz gewöhnlichen, i. e. hektischen Kochalltag unterwegs und eine Handvoll harmlose Albernheiten, mit denen sich Rock- und Punkmusiker ihren öden Touralltag aufprösteln; oder welchen Sinn es macht, einen Event wie "Kochen gegen Rechts" zu kreieren, um mit leckerer Philosophie und genialen Saucen verkrustete Strukturen aufzubrechen. Auch die Taufnamen ihrer Kreationen ("Ratte in Rollsplitt", "Nasentampon mit Artischocke", "Vegetarische Schlachteplatte", "Gummibärchenlasagne auf Pflasterstein", "Junkfisch") finde ich eine Spur zu anachronistisch, um wirklich darüber lachen zu können. Anders als die fast beleidigende Schlichtheit von Musikerwitzen ist das aber zu verkraften. Ernstes Kopfkratzen kommt mich jedoch an, lese ich, die Rote Gourmet Fraktion dekoriere ihre "Backstage-Bereiche, in denen sie Morgen für Morgen ihre Tourkantine aufbaut, mit Horrordevotionalien wie Rieseninsekten aus Latex, Totenköpfen und Attrappen von menschlichen Gliedmaßen". Ist das nicht eher rührend naiv? Zumal sich der beschworene Wortwitz in Wendungen wie "Oliveröl" oder "so was bringt einen voll aus dem Rezept" und einem absolut überflüssigen Gastbeitrag von Dietmar "Satiriker" Wischmeyer erschöpft? Die Presseabteilung von Kiepenheuer & Witsch sieht es anders: "Längst haben sie, auch über die Musikszene hinaus, einen Kultstatus erreicht. Nicht nur das kreative Essen, daß (!) die beiden Punks aus Hamburg unter oft unglaublichen Umständen auf die Teller bringen, hat ihnen dazu verholfen, sondern dazu ihr unverwechselbarer Style zwischen Humor, Provokation und Unterhaltungswert, den das nicht kopierbare Duo an den Tag legt." Was dann doch und wirklich lustig ist und mich mit den beiden Punkgourmets versöhnt: "unverwechselbarer Style zwischen Humor, Provokation und Unterhaltungswert". Wohlgemerkt: zwischen. |
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