Inhalt der Printausgabe

März 2004


Humorkritik
(Seite 5 von 9)

Wustmann und Lorio't

Loriot verehrt man in unseren Breiten seit Jahrzehnten wie kaum einen zweiten Komiker. Das wurde wieder einmal vor ein paar Monaten deutlich, als der Meister seinen achtzigsten Geburtstag beging. Beinahe völlig zu Recht stand da eine ganze Nation auf und applaudierte.
Mit einem gewissen Schamabstand hab' ich erst jetzt in der Festschrift des Diogenes Verlags herumgelesen (Loriot und die Künste, Zürich 2003). In der stehen ein paar lieblose Huldigungssabberadressen von Walter Jens bis Günther Jauch, aber auch einige luzide Interviews, in denen der soignierte Vicco von Bülow zuweilen zu verstehen gibt, daß ihm die permanente und einhellige Adoration seines Werks mitunter auf den Senkel geht. Na bitte, sagt's doch mal einer.
Noch einleuchtender fand ich einige Partien in einem kleinformatigen Band, der Loriots kurze Opernmoderationen und -einführungen versammelt. Und unter den vielen lapidaren und unforciert lustigen Miniaturen schienen mir die Ausführungen zu Verdis Rigoletto am überzeugendsten: "Die Tragödie ›Rigoletto‹ vollzieht sich am herzoglichen Hofe von Mantua, einer oberitalienischen Kleinstadt in der Po-Ebene. Sie erreichen Mantua auf der A 22 über Brixen, Bozen, Verona, wählen vor Mantua die nördliche Ausfahrt und halten sich in der Altstadt links. Dort finden Sie den Herzoglichen Palast. Der Herzog selbst paart sich mit jeder attraktiven Touristin. Soviel zu Rigoletto."
Eine angenehme Wurschtigkeit in Tonfall und Themenbehandlung, fürwahr - die jedoch im und auf dem Titel von einer nach wie vor schwer erträglichen schweizerisch-ostzonalen Gedankenlosigkeit flankiert wird, denn das Büchlein heißt: Loriot's Kleiner Opernführer.
Bei der Gelegenheit darf ich deshalb an Gustav Wustmanns "Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen" erinnern, die mit dem schönen Titel "Allerhand Sprachdummheiten" erstmals Ende des 19. Jahrhunderts erschien und heute in diversen Neuausgaben mühelos antiquarisch zu bekommen ist.
Wustmann wehrte sich gegen die wüsten Sinnwidrigkeiten der "Amts- und Zeitungssprache" und halt auch bereits gegen jene der hohen und edlen Verlagssprache. "Großes Vergnügen macht es vielen Leuten", schrieb Wustmann, "den Genitiv von Personennamen mit einem Apostroph zu versehen: Friedrich's, Müller's. Selbst große Gelehrte sind in den Apostroph so verliebt, daß es ihnen ganz undenkbar erscheint, Goethes ohne das hübsche Häkchen zu schreiben." - "Nun ist ja der Apostroph überhaupt eine große Kinderei", fährt er fort und haut dann mit Schmackes seitenlang druff (der Eintrag zum Apostroph ist einer der längsten des 480-Seiten-Wälzers): "Wie klingt denn der Apostroph [...]? Kann man ihn hören? Spreche ihn doch einer! Soll man vielleicht den Mund eine Weile aufsperren, um ihn anzudeuten? Oder sich einmal räuspern? [...] Nachdenklichen Setzern und Buchbindern will denn auch die Sache gewöhnlich gar nicht in den Kopf. Daher kommt es, daß man in den Korrekturabzügen und auf Buchrücken so oft Titel wie Sophokle's Tragödien, Dicken's Romane [...] lesen muß."
Na bitte, hat's mal einer klar und deutlich gesagt. Doch auf Wustmann hört man in unseren Breiten auch heute so selten wie auf kaum einen zweiten. Vielleicht liegt's am Namen. Lorio't klingt jedenfalls kindlicher oder aparter und sieht, apostrophisch-katastrophisch betrachtet, irgendwie apotheotischer und vor allem total komisch aus, aber wirklich.



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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
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24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt